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94 Min. Russisch, Deutsch, Englisch.

Das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park gehört zu den imposantesten Gedenkstätten, die in Berlin an den 2. Weltkrieg erinnern. Alljährlich am 9. Mai, dem Tag des Sieges der Roten Armee über das Naziregime, wird die Anlage zur Kulisse einer riesigen Menschenansammlung.
Der Film dokumentiert das Geschehen vom frühen Morgen, wenn eine kleine Besuchergruppe Einzug hält, mit ihren Hunden, die ein Wägelchen mit einem Stalin-Porträt ziehen, bis zum Abend, wenn die letzten patriotischen Lieder gesungen, die Selfies mit Fahnen verschickt, der Wodka getrunken, die Ansprachen verklungen sind. Die Kamera ist stets mittendrin, beflügelt und angetrieben von einer Atmosphäre, in der sich Stolz und Nachdenklichkeit, Patriotismus und Geltungsbedürfnis, Scham und Berliner Schaulustigkeit mischen. Als Zuschauer wird man gewahr, wie sich das Treiben der Jüngeren und Älteren, von Frauen in Trachten und Männern in Uniformen choreografiert: Das Ehrenmal entfaltet an diesem Datum seine Macht als kinematografischer Magnet, der sichtbar macht, wie unendlich viele Lebenslinien sich auch 72 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs in Berlin und weit darüber hinaus von genau hier aus kreuzen und definieren. (Dorothee Wenner)

Sergei Loznitsa wurde 1964 in der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik, heute: Republik Belarus geboren. Er wuchs in Kiew auf und schloss 1987 ein Mathematikstudium am dortigen Polytechnischen Institut Ihor Sikorskyj ab. Von 1987 bis 1991 war er am Kiewer Glushkov Institute of Cybernetics tätig, sein Forschungsschwerpunkt lag im Bereich der Künstlichen Intelligenz; außerdem arbeitete er als Übersetzer aus dem Japanischen. 1997 schloss Loznitsa ein Studium an der staatlichen Filmhochschule in Moskau (WGIK) ab. Seit 1996 realisierte er 18 Dokumentarfilme. 2010 entstand sein erster Spielfilm My Joy.

Monumente der Zweideutigkeit

Jedes Jahr am 9. Mai versammeln sich Menschen im Treptower Park in Berlin. Morgens findet am dortigen Sowjetischen Ehrenmal ein Festakt statt, und es werden Blumen für die gefallenen Soldaten der Roten Armee niedergelegt. Die anschließenden Feierlichkeiten werden überwiegend von der Russisch sprechenden Bevölkerung in Berlin besucht. 1965 wurde der 9. Mai in der damaligen Sowjetunion offiziell zum Feiertag erklärt – zum Tag des Sieges.
DEN’ POBEDY ist der zweite Film, den ich der Erinnerung an tragische Ereignisse der jüngeren europäischen Geschichte gewidmet habe. Mein erster Film AUSTERLITZ ist in den Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager entstanden – Orten des Leidens und des Todes. DEN’ POBEDY, in dem ich mich erneut mit Formen des Erinnerns traumatischer Erfahrungen beschäftige, ist an einem Gedenkort entstanden, der zur Erinnerung an ein geschichtliches Ereignis erbaut wurde: Gemäß der sowjetischen Mythologie ist der 9. Mai 1945 der Tag des Sieges der Sowjetunion über das „Dritte Reich“. So wird dieses historische Ereignis in der russischen Geschichtsschreibung definiert, und so verstehen es Besucher, die sich an diesem Ort aufhalten.
Im Rahmen der Nürnberger Prozesse, die vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 stattfanden, war die Rolle der Sowjetunion beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht Gegenstand der Verhandlung. Weder die Verbrechen, die von den Anführern der UdSSR begangen worden waren, noch das totalitäre Regime, das Josef Stalin errichtet hatte und das genauso grausam und unmenschlich war wie das „Dritte Reich“, wurden vor Gericht verhandelt – darauf hatten sich die Anführer der Alliierten geeinigt.
Einige der zentralen Probleme und Themen blieben aus diesen Gründen ungelöst, darunter beispielsweise die Frage, ob die Politik des sowjetischen Staates in der Zeit zwischen August 1939 und Juni 1941 rechtmäßig war. Der geheime Ribbentrop-Molotow-Pakt [der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, bekannt auch als Hitler-Stalin-Pakt; Anm. d. Red.], die Teilung Polens, die Vernichtung der polnischen Armee und der militärischen Elite Polens, der Krieg gegen Finnland, die Okkupation der baltischen Staaten und Bessarabiens etc. Was soll man angesichts all dessen von den sowjetischen Symbolen, Denkmälern und Festakten, die dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg gewidmet sind, halten?
Aus genau diesen Gründen – weil ein zweispältiger Eindruck bleibt, weil die Verbrechen der sowjetischen Machthaber niemals verurteilt worden sind, weil das Sowjetregime sich niemals vor einem internationalen Gericht verantworten musste – bleiben all die Mahnmale, die in der Ära der Sowjetunion errichtet wurden und in der sowjetischen Ideologie und Mythologie verwurzelt sind, für uns Monumente der Ambiguität. Es ist sehr schwierig, unsere Haltung ihnen gegenüber zu definieren.
DEN’ POBEDY ist eine Reportage über die Gedenkfeierlichkeiten am 9. Mai 2017 im Treptower Park in Berlin. (Sergei Loznitsa)

Produktion Sergei Loznitsa, Andrey Mikhailov. Produktionsfirmen Imperativ Film (Berlin, Deutschland), Taura Ltd. (Vilnius, Litauen). Regie, Buch Sergei Loznitsa. Kamera Sergei Loznitsa, Diego Garcia, Jesse Mazuch. Montage Danielius Kokanauskis. Sound Design Vladimir Golovnitski. Ton Vladimir Golovnitski.

Weltvertrieb Imperativ Film

Filme

1996: Segodnya mi postroim dom / Today We Are Going To Build A House (28 Min.). 1998: Zhizn, osen / Life, Autumn (34 Min.). 2000: Polustanok / The Train Stop (25 Min.). 2001: Poselenie / Settlement (80 Min.), Portret / Portrait (28 Min.). 2003: Landschaft / Landscape (60 Min.). 2004: Fabrika / Factory (30 Min.). 2005: Blokada / Blockade (52 Min.). 2006: Artel (30 Min.), 
Predstavlenie / Revue (83 Min.). 2008: Severniy svet / Northern Light (52 Min.). 2010: Schastye moe / My Joy (127 Min.). 2012: V tumane / In the Fog (128 Min.), Tchudo sviatogo Antonia / O Milagre de Santo António (40 Min.). 2013: Pismo / Letter (20 Min.), Reflections, Bridges of Sarajevo (17 Min.). 2014: Maidan (133 Min.), Staroe evreiskoe kladbische / The Old Jewish Cemetery (20 Min.). 2015: Sobytie / The Event (74 Min.). 2016: Austerlitz (94 Min.). 2017: Krotkaya / A Gentle Creature (143 Min.). 2018: Den’ Pobedy.

Foto: © Imperativ Film

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