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94 Min. Arabisch.

Wenn Kakerlaken träumen, dann davon, eines natürlichen Todes zu sterben – statt von Menschenhand zerquetscht zu werden. Dieser Prolog zieht sich als Leitmotiv durch den dritten Teil von Hicham Lasris „Trilogie des Hundes“. In oft hyperrealistischen Sequenzen entwirft der Film eine Zustandsbeschreibung der von Gewalt geprägten Gefühlswelt zwischen Männern und Frauen, Eltern und Kindern, Mächtigen und Entmachteten im heutigen Marokko. Sechs Schicksale, angesiedelt in einer ländlichen Luxusvilla, in großstädtischem Ambiente und in einem Steinbruch, werden durch Momente menschlicher Erniedrigungen verkettet. Die Vergewaltigung einer jungen Frau, ein in mittelalterlichen Fantasien verfangener Selbstmörder, die Schwangerschaft einer unverheirateten Tochter, deren blinder Vater sich nur für die Blutreinheit seiner Familie interessiert, ein bigotter Richter, ein kleiner Junge, der verzweifelt Hammelfleisch zum Opferfest einfordert, das der König verboten hat, und der Schuh, der George W. Bush im Irak an den Kopf geworfen wurde.
Lasris Filmsprache funktioniert mit der Wucht und Dynamik eines Alptraums, der gleichzeitig konkret und symbolisch, klar und verrätselt, aktuell und zeitlos ist. (Dorothee Wenner)

Hicham Lasri wurde 1977 in Casablanca (Marokko) geboren. Er studierte Jura an der Université Hassan II in Casablanca, bevor er sich als Autor von Theaterstücken, Romanen und Drehbüchern einen Namen machte. 2011 entstand sein Debütfilm The End über die letzten Tage des marokkanischen Königs Hassan II.

Lähmung der Seelen

JAHILYA ist Ausdruck der Empörung, des Unwohlseins. Ein Film, der ruft: „Es reicht!“ Seit ein paar Jahren ärgere ich mich zunehmend über meine Landsleute und fühle mich im Mahlstrom der allgegenwärtigen Mittelmäßigkeit unserer Zeit gefangen. Ich habe alles versucht, um meinen tiefen Kummer zu bekämpfen und meine Seele zu schützen. Dann habe ich beschlossen, einen Film darüber zu drehen, in dem ich anhand von sechs miteinander verwobenen Lebensgeschichten all die Melancholie, Poesie und Gewalt zum Ausdruck bringe, die darin liegt. Wie kann ein Mann weiterleben, der nichts mehr fühlen kann und dessen Seele gewissermaßen schon verwest ist? Wie kann er es ertragen, dass seine Erinnerungen verblassen? Wie kann er den Alltag überstehen, wenn die Zeiger seiner biologischen Uhr verschwunden sind und die regelmäßigen Schläge des Metronoms unweigerlich aufs Ende zuführen?
Der Film betrauert die Gefühle der Menschen, deren Herzen und Seelen gelähmt sind. Er kreist um eine Gruppe von Menschen mit geringen Fähigkeiten, um vermeintlich „wertlose“ Menschen mit wenigen Kompetenzen, die verzweifelt versuchen, etwas aus sich zu machen. Sie unternehmen einen letzten Anlauf, um zu überleben und ihren Platz in der Welt zu finden, bevor sie jede Hoffnung verlieren und sich in ihr Schicksal ergeben.
In kaltem, sachlichem Ton macht der Film deutlich, wie wichtig es ist, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, Trauer und Tränen ebenso zuzulassen wie Erlösung bringendes Leiden, und wie wichtig es ist zu fühlen, zu leben, zu lieben, sich selbst zu lieben.
Ich habe versucht, die instinktive Ablehnung darzustellen, die den Protagonisten meines Films entgegengebracht wird. JAHILYA ist der Abschluss meiner „Trilogie des Hundes“, die mit THEY ARE THE DOGS (C’EST EUX LES CHIENS) im Jahr 2013 begann und deren zweiter Teil, STARVE YOUR DOG (AFFAME TON CHIEN), 2015 entstand.
JAHILYA handelt von Gesten und Traditionen, die sich im menschlichen Zusammenleben seit den frühesten Anfängen unserer Kultur bis heute erhalten haben. Die Bezugnahme auf das Mittelalter dient dazu, die Vergangenheit einzubeziehen und einen Eindruck von der Angst zu vermitteln, die das Leben im heutigen Marokko prägt – einem Land, in dem wir in einer Art barbarischer Wildheit zu versinken scheinen, in blindem Fanatismus, und in dem wir in einer Trägheit verharren, die uns unaufhaltsam in die Dunkelheit führt. Anstatt die Dunkelheit zu verfluchen, wollte ich mit diesem Film ein Licht anzünden. (Hicham Lasri)

Produktion Lamia Chraïbi, Michel Merkt. Produktionsfirmen LaProd (Casablanca, Marokko), Moon a Deal Films (Paris, Frankreich). Regie, Buch Hicham Lasri. Kamera Said Slimani. Montage Zakaria Tibari. Musik Wissam Hojeij. Sound Design Patrice Mendez. Ton Anas Hamouch. Production Design Hicham Lasri. Mit Mostapha Houari (Lotfi), Salma Eddlimi (Rita), Hassan Ben Badida (Ali), Rami Fijjaj (Yaya), Zoubir Abou Al Fadl (Alis Sohn), Moulay Hassan Alaoui (Lotfis Vater), Malek Akhmiss (Mr. Jolnir), Zoubida Akif (Haushaltshilfe), Nissrine Erradi (Fati), Jalal Bouftaim (Chauffeur), Youssef Lemrabet (Haj Kabir).

Filme

2005: Jardin des Rides (13 Min.). 2010: Android (8 Min.). 2011: The End (105 Min.). 2013: C’est eux les chiens / They Are the Dogs (85 Min.). 2014: Al bahr min ouaraikoum / The Sea is Behind (88 Min., Panorama 2015). 2015: Starve Your Dog (94 Min., Panorama 2016). 2017: Headbang Lullaby (90 Min., Panorama 2017). 2018: Jahilya.

Foto: © La Prod, Jahylia

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