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65 Min. Spanisch.

Der stoische Victor gerät in Streit mit dem jugendlichen Gangmitglied The Selfie. Kurz darauf werden Victors Hunde ermordet. Er sinnt auf Rache und macht sich bewaffnet auf die Suche nach dem spurlos verschwundenen Rivalen. Doch die Reise gestaltet sich schwierig, befinden sie sich doch in Sinaloa, jenem Landstrich an Mexikos Pazifikküste, den ein skrupelloses Verbrecherkartell in blutiges Terrain verwandelt hat. Hier stehen Gewalt und Tod auf der Tagesordnung. Victors Weg ist gesäumt von exzentrischen Charakteren, von denen jeder einen neuen Hinweis auf den Aufenthaltsort von The Selfie preisgibt – bis die beiden in einem überraschenden Finale fulminant aufeinandertreffen.
Die Regisseure Raúl Rico und Eduardo Giralt Brun erzählen mit Los débiles eine zeitgenössische Variante von Schuld und Sühne. Virtuos gelingt ihnen das scheinbar Unmögliche: einen Rachefilm zu entwerfen, in dem Vergeltung schließlich in den Hintergrund tritt. Mit besonnener Kamera und erstaunlich skurrilem Humor schaffen sie ein atmosphärisch außerordentlich dichtes Roadmovie, an beeindruckenden Schauplätzen und in einer faszinierenden Landschaft, die beides ist: Hölle und Paradies. (Ansgar Vogt)

Raúl Rico wurde 1983 in Mazatlán (Mexiko), geboren. Er studierte Betriebswirtschaft am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey (ITESM) und anschließend International Business Studies an der Katholischen Universität Lyon. Raúl Rico war vier Jahre lang in der Marketingabteilung von Unilever Lateinamerika tätig. Los Débiles ist sein erster abendfüllender Film.

Eduardo Giralt Brun wurde 1987 in Miami (USA) geboren. Nach einem Filmstudium an der School of the Museum of Fine Arts der Tufts University in Boston lebte er ein Jahr lang in Uruguay und anschließend vorübergehend in Venezuela. Los Débiles ist sein erster abendfüllender Film.

Sinaloa, Hölle und Paradies zugleich

Raúl ist in Mazatlán (Mexiko) aufgewachsen. Als Kind verbrachte er ganze Tage dort am Strand, surfte und spielte Baseball bis zum späten Abend. Heute entsorgen an genau diesem Strand die Gangsterkartelle von Sinaloa und Los Zetas die zerstückelten Leiber ihrer Opfer.
Die Strände von Eduardos Kindheit liegen im Bundestaat Anzoátegui (Venezuela), vor dessen Küste sich wunderschöne Inseln befinden. Eine davon heißt Pool, wo Eduardo als Junge die verschiedensten Fische beobachten und bis in die Abenddämmerung hinein schnorcheln konnte. Kürzlich hörte er, dass Dutzende Strandbesucher dort von einer Gruppe Krimineller mit vorgehaltenen Gewehren bedroht, ausgeraubt und sexuell genötigt worden waren. Der nigerianische Autor Chris Abani beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Ort zugleich Hölle und Paradies sein kann. Auch wir fragen uns ständig: Wie kann eine Region so bedrohlich, von Gewalt geprägt sein und zugleich so wunderschön?
LOS DÉBILES ist eine Ode an die Brutalität Sinaloas und die gepeinigten Seelen seiner Anwohner. Wir haben in unserem Film Gesichter und Landschaften dokumentiert, die einzigartig für Sinaloa sind, immer in der Hoffnung, dass in der nahen Zukunft andere in der Lage sein werden, die Menschen zu verstehen und zu schätzen, die längst nicht mehr leben. Claude Lévi-Strauss schreibt in seinem Reisebericht „Traurige Tropen“: „In einigen hundert Jahren wird ein anderer Reisender an diesen Ort kommen, genauso verzweifelt wie ich, und das Verschwinden dessen beklagen, was ich hätte erblicken können, aber nicht gesehen habe.“ Mit diesem Zitat als Quelle der Inspiration haben wir uns in die ländlichen Gebiete von Sinaloa gewagt, um die wunderbare Gelegenheit zu ergreifen, die Region aus unserer Perspektive zu sehen und zu porträtieren.
José Luis Lizárraga, der Protagonist unseres Films, ist ein 20-jähriger Bauer, der auf einer kleinen Farm lebt und jeden Morgen um vier Uhr aufsteht, um, wie schon sein Großvater es tat, die Kühe zu melken. Er hat für Sinaloa typische traumatische Erfahrungen gemacht, die Spuren in seiner Seele hinterlassen haben. Die verlassene Fabrik in Mármol war das Herz der kleinen Stadt in der Nähe des Strandes. Seit sie geschlossen wurde, gleicht Mármol einer Geisterstadt, und die Gegend hat sich in eine Art Korengal Valley [während des Krieges in Afghanistan zu Beginn der 2000er Jahre ein zwischen den US-amerikanischen Truppen und den Taliban umkämpftes Tal im Nordosten Afghanistans; Anm. d. Red.] verwandelt, in dem unterschiedliche kriminelle Gruppen gegeneinander um den strategisch wichtigen Zugang zum Meer kämpfen.

Der Titel des Films ist einem Gedicht von Raúl entnommen:

Die Schwachen
In deinen Augen wurzelt ein unaufhörliches Klappern
Gottheit der Schwachen, Gefolgsmann des Todes.
In deinen vom Alter gezeichneten Händen finden wir Wärme
Wo sonst als an deiner knöchernen Brust
Finden wir Schutz.

Ein friedlicher Exodus ist unsere Strafe
An Bord dieses Schiffes.
Sing ein Totenlied für uns
Bevor du über die Schwelle trittst.

Tradition der mündlichen Überlieferung
Die Geschichte, die Protagonisten und Szenen des Films sind Ergebnis einer intensiven Recherchearbeit vor Ort, die uns in ländliche Gebiete, in Wirtshäuser und auf Schrottplätze führte. Sehr geholfen hat uns die Tradition der mündlichen Überlieferung in Sinaloa. Wir suchten nach lebendigen Chrakteren, nach Polizisten, Wirtsleuten, Lastwagenfahrern und Fischern, die uns Geschichten von Geistern, Mördern und Klatsch über die lokale Prominenz erzählten, über Musiker, Baseballspieler, Boxchampions und korrupte Politiker.
Einer unserer Interviewpartner war der Besitzer eines Wirtshauses, der anonym bleiben wollte. Er berichtete uns von seiner Zeit als Matrose auf einem Fischerboot, das in Peru eine Ladung Kokain aufnahm und auf dem Weg zurück einen Motorschaden hatte. Tagelang trieb das Schiff mitten auf dem Pazifischen Ozean mit Tonnen von Kokain an Bord.
Wir beschlossen, bei der filmischen Übersetzung dieser Geschichten und dieses Chaos auf Elemente des absurden Theaters zurückzugreifen: eine fehlende Handlung, überflüssige Dialoge und eine albtraumhafte Stimmung. Die Mitwirkenden des Films sind Laiendarsteller, die ihre persönlichen dramatischen Geschichten in den Film einbrachten; zu ihnen gehört beispielsweise die Witwe eines Drogenbarons, die nach einem Leben im Luxus heute Toiletten putzt, oder ein alter Mann, der von einer Gangsterbande, die eigentlich nach seinem Sohn suchte, mit einem M15-Gewehr zum Krüppel geschossen wurde. Wir entwickelten Figuren, die sich an der Grenze zum Grotesken bewegen, um das Ausmaß des Wahnsinns und des Todes gleichwohl abzuschwächen wie zu dramatisieren.
Eine wesentliche Inspirationsquelle für die Arbeit an diesem Film waren die lokalen Boulevardzeitungen, die mit ihren grausigen Aufmacherfotos von Enthaupteten oder Aufgehängten Gewalt auf sensationsheischende Weise ausstellen und den Tod verharmlosen. Gleichzeitig beziehen wir uns auf drei Künstler aus Sinaloa, deren Arbeit wir schätzen und denen wir nacheifern wollten. Zu ihnen gehört die bildende Künstlerin Teresa Margolles, die unter anderem 2009 im Rahmen der Biennale in Venedig den Boden des mexikanischen Pavillons mit dem Blut der Opfer des Drogenkriegs wischte; der Fotojournalist Fernando Brito, dessen Bilder von toten Körpern, die inmitten der wunderschönen Landschaft von Sinaloa entsorgt werden, unsere wachsende Abstumpfung in Bezug auf die Darstellung von Gewalt problematisieren; und schließlich der Autor Elmer Mendoza, der in seinen blutrünstigen Romanen seinen Protagonisten, Kommissar Edgar El Zurdo Mendieta, auf der Suche nach Anhaltspunkten lang vergessener Straftaten durch die Unterwelt von Sinaloa schickt. (Raúl Rico & Eduardo Giralt Brun)

Produktion Raúl Rico, Eduardo Giralt Brun. Produktionsfirmen Mendicante (Mexiko Stadt, Mexiko), Luz Verde (Paris, Frankreich). Regie, Buch Raúl Rico, Eduardo Giralt Brun. Kamera Diego Rodríguez. Montage Raúl Rico, Jonathan Pellicer. Musik Alonso Esquinca. Sound Design Thomas Becka. Ton Ariel Baca. Production Design Ursula Schneider. Mit José Luis Lizárraga (Victor), Eduardo Martínez (López), Javier Díaz Dalannais (Fischer), Javier Chimaldi (Don Kike), Joshua Estrada (Selfie), Eduardo Rauda (Carles), Sean Hennessey (El Gringo), Ulises Bojorquez, Eduardo Carreón, Cruz Tirado.

Weltvertrieb Luz Verde

Filme

Raúl Rico: 2014: Noche de Resurrecciones (59 Min.). 2018: Los débiles / The Weak Ones.

Eduardo Giralt Brun: 2010: Haití (9 Min.). 2011: Luis (15 Min.). 2013: No te de voy a dejar sola (15 Min.). 2015: The Double Gaze (50 Min.). 2018: Los débiles / The Weak Ones.

Foto: © Diego Rodríguez

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