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Im Rahmen von Archival Constellations zeigt das Forum Mariam Ghanis Dokumentarfilm What We Left Unfinished, der von unvollendeten Filmen handelt, die zwischen 1978 und 1991 in Afghanistan entstanden, sowieHamas-e eshq (Epic of Love), Babaund Khan-e tarikh (House of History).


Die Künstlerin Sandra Schäfer arbeitet im Bereich Film, Videoinstallation und Fotografie. Sie interessiert sich für die Ränder, Lücken und Diskontinuitäten unserer Wahrnehmung von Geschichte, politischen Kämpfen und geopolitischen Räumen. 2016 und 2017 waren Videoarbeiten von ihr im Forum Expanded zu sehen.

Die kurze und wechselvolle Geschichte des afghanischen Kinos beschrieb der Filmemacher Siddiq Barmak als eine, in der „jeder historische und politische Umschwung seine spezifischen Filme hervorbrachte“. Er bezog sich damit auf die zahlreichen politischen Wechsel im Land und die damit einhergehenden Zensurverfahren, die die Filmemacher*innen zwangen, mit diesen Beschränkungen umzugehen.

Der erste afghanische Spielfilm Eshq wa dusti (Love and Friendship) fußte auf einer Initiative zuvor arbeitslos gewordener Schauspieler der Gruppe „Theater der Erziehung“, deren Institution 1945 auf Grund einer politisch unliebsamen Inszenierung vom Ministerium geschlossen wurde. Da es in Afghanistan keine Produktionsmöglichkeiten gab, drehten sie unter Regie von Rashid Latifi den Film als afghanisch-indische Koproduktion in Lahore. In der Liebesgeschichte mit Tanz- und Gesangsszenen wurden die weiblichen Rollen von indischen Schauspielerinnen gespielt, da es Frauen in Afghanistan damals nicht erlaubt war, dem Beruf nachzugehen. Love and Friendship wurde bei seinen ersten Aufführungen in Kabul 1951 begeistert aufgenommen, denn das Publikum sah zum ersten Mal einen Film, in dem das lokale Dari gesprochen wurde.

1964 kam der erste vollständig in Afghanistan gedrehte Film Manand-e oqab (Like an Eagle) von Khayr Zada ins Kino – eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm. Auf 16mm gedreht, erzählt die fiktive Rahmenhandlung von einem kleinen Mädchen, das mit ihren Eltern vom Land nach Kabul kommt, um die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten zu sehen. Sie verliert ihre Eltern im Menschengewühl. Ihre Suche nach ihnen dient dazu, ein Bild des neuen Afghanistan zu zeigen: die verschiedenen Handwerke, die Autoproduktion in Kabul oder die Herstellung neuer Kleider für Frauen. Im selben Jahr dreht Asefi Satorzada seinen Kurzdokumentarfilm Kabol Pantheon University (University Kabul). Im Westen der Stadt wird ein moderner Campus mit US-amerikanischen Regierungsgeldern eröffnet. Die Universität galt bis zu ihrer Kriegszerstörung als eine der größten des Mittleren Ostens.

Seit Ende der 1960er-Jahre lernten viele Filmemacher*innen ihr Handwerk an der Filmhochschule in Moskau oder am Poona-Institut in Indien. Einige dieser jungen Absolvent*innen begannen 1968 mit den Dreharbeiten an dem dreiteiligen Episodenfilm Rozgaran (Everyday Lives). Die erste Episode, Talabgar (The Suitor) von Khaleq Halil, ist als Komödie angelegt: Ein Hochstapler versucht seinen sozialen Aufstieg durch Heirat der emanzipierten Sima zu erreichen. Diese lehnt sich jedoch gegen die Werte ihrer Eltern auf und wehrt sich gegen die Heirat. Man sieht einen modernen Bungalow mit abstrakter Malerei und ein Konzert der Sängerin Roshana im Hotel Intercontinental. Der Schwindel wird am Ende entlarvt. Die zweite Episode, Qachaqbaran (Smugglers) von Sultan Hamid Hashem wurde im Hitchcock-Stil gedreht. Der Film erzählt die Geschichte eines Polizisten, der alle Schmuggler verhaftet, und erweckt dabei den Eindruck eines sicheren Landes. Die dritte Episode, Hab-e Joma (Friday Night) von Mohammad Ali Rownaq, ist als Drama mit komödiantischen Elementen dem iranischen und italienischen Kino nachempfunden.

Mit der sowjetischen Einflussnahme Anfang der 1980er-Jahre werden die privaten Filmproduktionsformen geschlossen. Als alleinige Institution bleibt das staatliche Filminstitut Afghan Films übrig – kontrolliert von externen sowjetischen Zensoren. Mariam Ghanis What We Left Unfinished (Forum 2019) beschäftigt sich mit fünf Filmen, die zwischen 1978 und 1991 aufgrund verschiedener politischer Machtwechsel unvollendet bleiben mussten. Im Dialog mit den Filmemacher*innen rekonstruiert die Regisseurin, wie diese trotz Zensur und Gefahren ihre Leidenschaft für das Kino verfolgten. Zwischen politischer Auftragsarbeit und Realitätsansprüchen der Produzierenden zeichnet sich so ein widersprüchliches Bild kommunistischer Staatsvisionen ab.

In dieser Phase realisiert 1981 der Filmemacher Latif Ahmadi seinen Film Akhter-e maskhara (Akhter, the Clown). Ahmadi stellt die ärmlichen Verhältnisse der Altstadt Kabuls, aus denen der freundliche und naive Akhter stammt, den schicken Bungalows und dem modernen Lebenswandel des wohlhabenden Stadtteils Shar-e nau gegenüber. Der tragisch endende Film vermittelt mit seinen komödiantischen Elementen zugleich eine Sozialkritik. 1989 erscheint der ebenfalls von Latif Ahmadi realisierte Spielfilm Hamas-e eshq (Epic of Love). Das historische Epos handelt von einer generationsübergreifenden Familienfehde und zwei Liebenden, die sich den Familientraditionen widersetzen, wofür sie einen hohen Preis zahlen müssen. Dramatische Kämpfe auf dem Buzkashi-Feld sowie Szenen der Liebenden inmitten der mohnblühenden Felder Masar-e Scharifs werden begleitet von einem kunstvollen Soundtrack aus Solos von Tabla und Rabab sowie Synthesizerklängen. Die Schauspielerin Sabera Arash spielt die Rolle der mutigen Masari, begleitet von ihrer Freundin Pari, gespielt von Yasamin Yarmal. Der Film ist in Afghanistan auch heute noch populär und wird jährlich im Fernsehen ausgestrahlt.

Der 1986 für die staatliche Filmhochschule in Moskau produzierte Abschlussfilm Beiganeh (The Stranger) des Filmemachers Siddiq Barmak thematisiert Klassenverhältnisse. Im Zwiespalt zwischen Tradition, Religion und sozialem Prestige gibt der Landarbeiter Morad dem Druck des Dorffürsten und dessen amerikanischem Gast nach, seine Frau Sanowbar für diese singen zu lassen. Als seine Frau eines Tages nicht aufzufinden ist, begibt er sich in das Haus des Herrschers.

Zehn Jahre später, inmitten der politischen Turbulenzen der Bürgerkriege, erstellt der Regisseur Qader Tahiri auf Grundlage von Bildmaterial acht verschiedener Kameramänner den Dokumentarfilm Khan-e tarikh (The House of History). Kamerafahrten und Luftaufnahmen zeigen zunächst die Auswirkungen der Bürgerkriege auf die Stadt Kabul: Ruinen und leergefegte Straßenzüge, Binnenvertriebene stehen in einem temporären Lager Schlange für Lebensmittel, Verletzte werden in einem Krankenhaus versorgt, Schüler*innen drängen sich in einer Schule. Der Hauptteil des Films widmet sich dem Nationalmuseum und dem durch die Kriege zerstörten afghanischen Kulturerbe. Aufnahmen aus den Jahren 1973–74 zeigen die intakten Artefakte vor den Zerstörungen. Der stellvertretende Museumsleiter berichtet 1990 von der Errichtung des Nationalmuseums im Jahr 1931 und davon, dass bis 1922 Artefakte nach Europa verschwanden. 1992 sortieren Museumsangestellte die durch die Bürgerkriege zerstörten Objekte. Mauern aus Ziegelsteinen sind im Museum errichtet worden, um die Artefakte vor Plünderungen zu schützen. Und so steht das prekäre, immer wieder von Bilderstürmen bedrohte und bis in die Altsteinzeit zurückreichende Kulturerbe des Landes im Zentrum von Khan-e tarikh.

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 kehren Filmemacher*innen aus dem Exil zurück und nehmen gemeinsam mit denjenigen, die geblieben sind, ihre Arbeit wieder auf. So drehte der Regisseur Siddiq Barmak 2002–03 den mehrfach international ausgezeichneten Spielfilm Osama. Dieser spielt während der Talibanzeit und handelt von einem Mädchen, das als Junge den Lebensunterhalt für ihre Mutter und Großmutter verdient. Der mit Laiendarsteller*innen gedrehte Film zeichnet ein düsteres Bild der Talibanzeit.

Erstmals produzieren nun auch Frauen Filme und erzählen Geschichten aus ihren Perspektiven. Zu ihnen zählen unter anderen Roya und Alka Sadat, Shakiba Adil, Saba Sahar und Diana Saqeb. 2004 entstand Roya Sadats Spielfilm Se noqta (Three Dots). Im Zentrum dieses Melodrams steht eine alleinerziehenden Mutter, die sich gegen traditionelle Familienstrukturen auflehnt. 2007 dreht die aus dem Iran zurückgekehrte Diana Saqeb den Dokumentarfilm 25 Darsad (25 Percent). Er porträtiert sechs Parlamentarierinnen, die sich trotz ihrer Verpflichtungen als Ehefrau, Mutter und Tochter in einem traditionell und männerdominierten Umfeld engagieren. In Afghanistan hat sich mittlerweile eine große Ernüchterung breit gemacht, was die „Hilfe“ des Westens, aber auch die lokale Politik betrifft. Weil sich die politische Situation wieder verschärft hat, mussten einige der Filmemacher*innen erneut das Land verlassen, um im Exil zu leben. Diejenigen, die geblieben sind, sehen sich Bedrohungen ausgesetzt und sind mit zunehmend prekären Produktionsbedingungen konfrontiert. Trotzdem versuchen sie alle, weiter im Rahmen ihrer Möglichkeiten Filme zu produzieren.

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