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59 Min. Kantonesisch, Englisch.

Der Ausgangspunkt von Prison Architect ist die dunkle Geschichte des Victoria Prison in Hong Kong, das sich im ersten dort unter britischer Kolonialherrschaft gebauten Polizeikomplex befindet. Der Film wurde an Originalschauplätzen im Gefängnisgebäude gedreht, das heute große Teile des im Juni 2018 nach 10-jähriger Umbauphase eröffneten Tai Kwun Centre for Heritage and Arts beherbergt.
Zwei Protagonist*innen – eine Architektin und ein Häftling, die in parallelen Realitäten in der Gegenwart und einer nicht näher bestimmten Vergangenheit leben – treten in einen die Grenzen von Raum und Zeit überschreitenden Dialog über ihre Vorstellungen von und Erfahrungen mit Gefangenschaft. Ihr Gespräch kreist um das Verhältnis von Mensch, Welt und Freiheit. Sie sprechen von sichtbarer und unsichtbarer Gefangenschaft, von Existenzialismus als Mittel zur Selbsterlösung und stellen gleichzeitig die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung in Frage. Ein Versuch der Versöhnung mit der Welt und der menschlichen Natur.
Prison Architect ist inspiriert von Hu Fangs Kurzgeschichte „The Comfort of Captivity“.

Cao Fei, geboren 1978 in Guangzhou, China, lebt als Künstlerin in Peking. Ihre Arbeiten wurden auf den großen Biennalen, Triennalen und in Museen weltweit gezeigt.


Cao Fei im Gespräch

17. November 2018
Ocula Magazine

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Qu Chang: Einige Ihrer früheren Arbeiten spielen in Hong Kong oder beziehen sich auf die Stadt selbst. Was denken Sie über die Beziehung von PRISON ARCHITECT zu dieser Stadt? Was ist Ihr persönlicher Bezug als Kantonesin zu Hong Kong?

Cao Fei: Das ist nicht das erste Mal, dass ich in Hong Kong ausstelle. 2015 habe ich am LED Lichtprojekt am ICC (International Commerce Centre) teilgenommen und 2013 an der Mobile M+ Ausstellung „Inflation!“ Ich habe dort ein aufblasbares, riesiges Spanferkel ausgestellt. Das Publikum stand an, um in seinen Körper einzutreten. Ich denke, das Hong Konger Publikum versteht die Elemente in meiner Arbeit, vielleicht auch, weil ich in Guangzhou aufgewachsen bin, einer Stadt, die im chinesischen Perlflussdelta liegt, in dem sich auch Hong Kong befindet.
Die Kultur Hong Kongs ist mir geläufig. Ich bin mit dem Einfluss der Popkultur dieser Stadt aufgewachsen und die Sprache und die Küche sind sehr ähnlich. Peking liegt mir im Bezug auf „kulturelle Differenzen“ ferner als Hong Kong.
(...)
Tai Kwuns Geschichte kannte ich zwar anfangs nicht, aber ich hatte keine Schwierigkeiten in Bezug auf den Drehort und die Filmsprache. Ein*e Künstler*in aus dem Norden müsste Kantonesisch sehr vorsichtig nutzen, um das Thema und die Sprache des Projekts zu verarbeiten. Diese Sprachbarriere hatte ich nicht. (...) Das Tai Kwun-Projekt beinhaltete für mich keine „andere“ Kultur und es war nicht nötig, die Ortspezifität sorgfältig anzugehen: Für mich war das alles normal.
(...)

QC: Aus dem Abspann von PRISON ARCHITECT erfahren wir, dass Sie sich von der Kurzgeschichte „The Consolation of Imprisonment“ von Hu Fang, einem Autor, Kurator und Mitbegründer des Vitamin Space in Guangzhou, inspirieren ließen. Wie wird die Geschichte neu geschrieben und in Ihre Arbeit integriert?

CF: Ich habe diesen Text erst letztes Jahr entdeckt und dennoch hat er den Ton und die Richtung des Films auf eine Art gelenkt. Der Roman untersucht alle möglichen Formen von Gefängnis sowie die menschliche Wahrnehmung von Gefangenschaft, er fragt was der Zweck von Gefangenschaft ist und wie man ihn von einer nicht konfrontativen Perspektive verstehen kann. Das Buch analysiert die Zwecke und Strukturen von zahlreichen Gefängnissen aus verschiedenen Zeiten und Orten. Ich habe meine Überlegungen über dieses Buch in die Geschichte von Tai Kwun eingearbeitet und die Ebenen der Protagonist*innen, die Zeit-Raum-Ebene und den historischen Hintergrund von Hong Kong hinzugefügt. Der Prozess hat mein Verständnis von Gefängnis erweitert und mich allmählich dazu gebracht, „Gefängnis“ nicht einfach als eine Art von Gewalt einzuordnen, sondern es breiter gefächert wahrzunehmen. Ich dachte darüber nach, wie wir mit der Idee von „Inhaftierung“ leben – mit Inhaftierung in einer physischen Zelle, Gefängnissen, die vorgeben keine zu sein und einem Gefängnis, das in ein Kulturzentrum umgewandelt wird. Aus dieser Überlegung ging die Rolle der Architektin hervor und durch ihre Perspektive werden die Betrachter*innen in den Film geleitet und ermutigt, den Raum und seine Geschichte zu verarbeiten.
Es gibt auch noch andere Texte, die im Film vorkommen, zum Beispiel eine Gedichtsammlung mit dem Titel „The Gulf“, geschrieben von einem Häftling. Nach der Präsentation des Films bei der Eröffnung fragte mich Hu Fang nach dem Autoren dieser Sammlung. Ich lachte – sie ist komplett erfunden.

QC: Die Idee des „Gefängnis“ oder was Sie eine „Gefängnisperspektive“ nennen, ist in vielen Ihrer Arbeiten ein unterschwelliges Thema. (...) In PRISON ARCHITECT wird dieses versteckte Narrativ zum Hauptthema. Wie ist es dazu gekommen?

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CF: Ihre Idee der „Gefängnisperspektive“, die aus einem „verstecktem Narrativ“ entsteht, gefällt mir. Sie hängt wirklich direkt mit der Geschichte des Gefängnisses zusammen. Manche denken die Arbeit wurde produziert, um Tai Kwun zu bewerben, was ich lächerlich finde. Erstens benötigt das Tai Kwun-Projekt meine Werbung nicht und zweitens war das Produzieren von Arbeiten an ihren tatsächlichen Orten für mich schon immer wichtig. Zum Beispiel drehten wir für ASIA ONE auf dem Gelände der Logistikfirma JD, obwohl es einfacher gewesen wäre einen ähnlichen Ort für den Dreh zu mieten, wie es in der Filmindustrie üblich ist. Aber wir haben uns dazu entschieden vor Ort zu drehen, obwohl das bedeutete, dass wir auf die Unterstützung von JD angewiesen waren und deren Erlaubnis einholen mussten. Wir haben es gemacht und das Wunder ist eingetreten.

(...) Man kann sagen, dass die Arbeit für Tai Kwun sich in meine Praxis einpasst, den kreativen Teil auf der Wirklichkeit aufzubauen – eine fiktionale Erzählung auf einer realen Struktur. Der Dreh für PRISON ARCHITECT war abgeschlossen bevor der Ort eröffnet wurde – auch weil ich den Zustand des Ortes so in meiner Arbeit festhalten wollte, bevor Tourist*innen in ihn einströmen. Wie viele Möglichkeiten gibt es, eine Arbeit in einem echten Gefängnis zu verwirklichen? Der Auftrag war eine wertvolle Chance für mich. Der Dreh vor Ort war der entscheidende Teil – natürlich hätten wir woanders eine Gefängniszelle nachbauen können, aber wozu soll das gut sein? PRISON ARCHITECT unterscheidet sich von meinen älteren Arbeiten darin, dass es Raum, Struktur, professionelle Schauspieler*innen und Performances von Künstler*innengruppen beinhaltet. Die von mir geschaffene Struktur ist dennoch nicht zu offensichtlich, es gibt keine expliziten geschichtlichen Referenzen zum Gefängnis. Vieles wird eher über die Gesamtstimmung, den Ton der Arbeit vermittelt.
(...)

Dieses Interview zwischen Cao Fei und Qu Chang wurde am 17. November 2018 im Ocula Magazine veröffentlicht. Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Ocula.

Produktion Xue Tan, Gabe Chan. Produktionsfirma Tai Kwun Contemporary (Hong Kong SAR, Volksrepublik China). Regie, Buch Cao Fei. Kamera Kwan Pun Leung. Montage Cao Fei. Musik Dickson Dee. Production Design Cyann Ho Pui Yu. Sound Design Dickson Dee. Ton Lam Hon Fung Victor. Kostüm Sean K. Maske Candy Law Hiu Man. Regieassistenz Thomas Lee Chi Wai. Production Manager Elysa Wendi. In Auftrag gegeben von Tai Kwun Contemporary. Mit Valerie Chow Kar Ling (Architektin), Kwan Sheung Chi (Dichter), Wong Ting Kong (Junior Gefängniswärter), Cheung Ho Kit (Gefängniswärter), Wong Ting Pong (Häftling), Tsui Ka Lok (Häftling), Lo Ka Chun (Häftling), Wong Hei Nam (Häftling), Andrew Kwok (Häftling), Lee Wai Shing (Häftling), Wong Hing Kok (Häftling), Chung Chee Ching (Dirigent).

Weltvertrieb Vitamin Creative Space

Filme

Auswahl: 2006: Whose Utopia (20 Min.). 2007: i.Mirror (28 Min.). 2013: Haze and Fog (60 Min.). 2018: Asia One (Videoinstallation). 2019: Prison Architect.

Foto: © Cao Fei

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