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75 Min. Wayuunaiki, Spanisch.

In einem Traum erscheint Doris ihre verstorbene Cousine, mit der sie einst viel verband. Es ist dies die Aufforderung, das wichtigste Ritual der Wayuu, einer indigenen Bevölkerungsgruppe in der kolumbianischen Guajira-Wüste, zu begehen: Um ihr letzte Ruhe zu gewähren, muss Doris die Gebeine der Verstorbenen exhumieren, säubern und ein zweites Mal bestatten. Mit Unterstützung ihrer Mutter und Großmutter begibt sie sich auf eine sinnliche Reise, die sie in engen Kontakt mit der Toten und ihrer Welt führt.
César Alejandro Jaimes‘ und Juan Pablo Polancos gemeinsam mit ihrer Protagonistin entwickelter Debütfilm findet dafür eindringliche Bilder und Geräusche und eine durchlässige Ästhetik, die dem Nicht-Sichtbaren Gestalt verleiht. Wie selbstverständlich gleitet die Kamera zwischen verschiedenen Daseinsformen und Welten, zwischen Tag und Nacht, gleißendem Licht und einhüllender Dunkelheit hin und her. Der behutsame Blick der Filmemacher ist nah und distanziert zugleich. Mehr als für das Ritual, interessieren sie sich für die Gesichter der Anwesenden, in denen sich Argwohn, Neugier und Faszination spiegeln. Womöglich ganz so, wie bei ihnen und uns selbst. Keine Welt ist hermetisch. (Hanna Keller)

César Alejandro Jaimes wurde 1993 in Bogotá (Kolumbien) geboren. 2010 nahm er an einem Workshop für experimentelle analoge Fotografie an der Guerrero Academy of Arts in Bogotá teil. Er studiert Film an der Corporacion Universitaria Unitec Oficial in Bogotá. Jaimes gehört zu den Gründern der Produktionsfirma Los Niños Films in Bogotá. Lapü ist sein erster abendfüllender Film.

Juan Pablo Polanco wurde 1994 in Bogotá (Kolumbien) geboren. Er studierte Kunst an der Javeriana University in Bogotá und war als Kameramann, Editor und Regieassistent bei Dokumentarfilmproduktionen tätig. Nach einem Studium der Filmregie an der Escuela de Cinematografía y del Audiovisual de la Comunidad de Madrid (ECAM) beteiligte er sich an der Gründung der Produktionsfirma Los Niños Films in Bogotá. Lapü ist sein erster abendfüllender Film.

Das Berühren einer anderen Zeit

In unserer Kindheit war in den Fernsehnachrichten vom Tod, von toten Menschen, von Zahlen von Toten nur in einer Form die Rede, die die Besonderheit jeder tödlichen Auseinandersetzung leugnete. Das Sterben jener Menschen wurde ausschließlich mit politischen Erfolgen und Kriegsgerüchten in Verbindung gebracht. Etwas später dann gibt es die Erinnerungen an den Tod naher Verwandter, an kalte Krankenhauszimmer und an die Angst, an den Sarg heranzutreten, in dem ein Angehöriger lag. Kein Wunder, dass unsere Beziehung zum Tod von Angst und Verdrängen geprägt ist.
Bei der Geschichte der Gewalt in unserem Land drängt sich die Frage auf: Wie viel hat es uns gekostet, den Tod als etwas Wertvolles, Schönes zu betrachten, einen toten Körper zu umarmen oder wenigsten zu berühren? Haben wir die Fähigkeit verloren, den Tod als etwas zutiefst Kostbares in unserem Leben wahrzunehmen? LAPÜ ist der Versuch, unsere Beziehung zum Tod, zum Verlust und zur Erinnerung zu erspüren, ihr neue Bedeutung zu geben und sie mit dem Leben zu verbinden. Doris begegnet dem Tod voller Unschuld, Neugier, Angst, mit widerstreitenden Gefühlen und kommt dem Mysterium, dem Ort im Schatten, dennoch nahe.
Das Ritual und die Gesten, mit denen Doris und ihre Familie Verbindung mit dem Tod aufnehmen, verändern das Gefühl für Ort und Zeit all derer, die an der Zeremonie teilnehmen. Sie gleicht einer Inszenierung, in der jeder eine für ihn jeweils ungewohnte neue Rolle übernimmt. Doris berichtete, dass sie sich wie betrunken gefühlt habe, als sie die Leiche wusch. Für das Filmteam war es im Nachhinein schwer einzuschätzen, wie lang sie dafür gebraucht hatte. Es scheint, als ob der Gestus der Vertrautheit mit dem Tod uns Anwesende verändert. Er hat einen tiefen Eindruck in uns hinterlassen und eine Erinnerung geschaffen, die wir uns im Laufe unseres Lebens zweifellos immer wieder ins Gedächtnis rufen werden.
Der Gedanke an jene Zeremonie treibt uns immer noch um, noch immer können wir nicht entschlüsseln, was wir damals gefühlt haben. Wir sind uns sicher, dass die Erinnerung an dieses Ritual in einem Moment des Verlusts zu uns zurückkehren und uns etwas mitteilen wird. Die Zeit an jenem Ort eröffnete sich selbst die Möglichkeit, eine andere zu sein, sich selbst in Frage zu stellen, die Toten auferstehen zu lassen, der Logik zu entkommen, die wir ihr zuschreiben, um selbst nicht in Ungewissheit zu schweben. Dabei war es genau jenes Gefühl der Ungewissheit, das den Film angetrieben hat, jenes Bedürfnis, etwas zu berühren, um eine Antwort zu finden, die sich nicht in Worte fassen lässt.
In La Guajira ist es gut möglich, dass ein alter Mann, der die Jahre nicht mehr zählt, die er hinter sich hat, auf die Frage nach seinem Alter nur entgegnet: „Älter als du!“ (César Alejandro Jaimes, Juan Pablo Polanco)

Produktion Julián Quintero. Produktionsfirma Los Niños Films (Bogotá, Kolumbien). Regie, Buch César Alejandro Jaimes, Juan Pablo Polanco. Kamera Angello Faccini. Montage César Alejandro Jaimes, Juan Pablo Polanco. Sound Design Antonio Ponce. Ton Yesid Vasquez. Mit Doris Gonzalez Jusayu, Carmen Gonzalez Jusayu.

Weltvertrieb Syndicado Film Sales
Uraufführung 26. Januar 2019, Filmfestival Sundance

Filme

César Alejandro Jaimes: 2016: La Venda (37 Min.). 2017: Portete (5 Min., Co-Regie: Juan Pablo Polanco). 2019: Lapü.

Juan Pablo Polanco: 2017: Portete (5 Min., Co-Regie: Cesar Alejandro Jaimes). 2018: A la Deriva (12 Min.). 2019: Lapü.

Foto: © Los Niños Films

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