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92 Min. Englisch.

Über einen Zeitraum von sechs Monaten verhandelte 1969 ein Gericht in Chicago den Fall mehrerer Männer, denen eine Verschwörung gegen den Staat vorgeworfen wurde. Sie wurden festgenommen, als sie 1968 gegen den Parteitag der Demokraten demonstrierten. Der 1971 von Kerry Feltham inszenierte Film nahm seinen Anfang als Theaterstück, das eine freie Gruppe aus Toronto auf Basis der Protokolle der Verhandlung gegen die Chicago Seven entwickelte. Das Ergebnis ist eine surreale Überhöhung, die nicht den Verlauf der Verhandlungen, sondern die Willkür autoritärer Staatsmacht im Umgang mit dissidenten Bürger*innen hervorkehrt. Die Bühne ist Gerichtssaal und Zirkus, die Verhandlung zugleich tragische Realität und groteskes Szenario mit Elementen aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Der Film ist die Sichtbarmachung staatlicher Repression und zugleich ein Akt der verdichtenden Verfremdung. (ab)

Kerry Feltham wurde 1944 in Edmonton (Kanada) geboren. Er absolvierte ein Bachelorstudium an der University of British Columbia, Vancouver, und ein Masterstudium an der Stanford University (Kalifornien, USA) ab. Bereits während des Studiums arbeitete Feltham als Kameramann für die Canadian Broadcasting Corporation, später dann als Regisseur und Produzent von Dokumentarfilmen. 1978 ging er in die USA und arbeitete bis Anfang der 1980er-Jahre als Associate Producer für mehrere Hollywoodstudios in Los Angeles. Anschließend war Feltham als freiberuflicher Regisseur tätig.

Eine filmische Adaption

Eine filmische Adaptation der Inszenierung des Toronto Workshop unter George Luscombe.
Es ist ein Verbrechen gegen die Vereinigten Staaten, die Grenze eines Bundesstaates zu überschreiten oder eine Nachricht über die Grenze zu befördern mit der Absicht, einen Aufruhr zu provozieren. In Chicago wurden acht Protestierer unter der Anklage, eine Verschwörung zur Auslösung eines Tumultes vorbereitet zu haben, vor Gericht gestellt.
Nicholas von Hoffman schreibt: „Allein die Tatsache der Anklage gegen die ‚Verschwörer‘ von Chicago schafft die Möglichkeit, daß jeder, der öffentlich seine Zustimmung zu oder sein Unbehagen an irgendetwas äußert – sei es Rattenbekämpfung, Frieden, Sauberkeit der Gewässer oder besserer Polizeischutz –, nicht nur damit rechnen kann, daß ihm ein Polizist den Schädel einschlägt, sondern auch damit, daß man ihm den Prozeß macht, weil er konspiriert hat, um den Polizisten zu dieser Handlung zu provozieren. Dies könnte Menschen davon abhalten, von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen; und das ist mit ein Grund – abgesehen von allen Rechtserwägungen –, warum viele Leute, obwohl sie durch die Persönlichkeit der Angeklagten, durch Gerichts-Narretei und -Politik irritiert werden, dennoch für sie eintreten“.
Was wirklich im Verschwörungsprozeß von Chicago geschah – Ereignisse und Zeugenaussagen –, ist nicht allgemein bekannt. THE GREAT CHICAGO CONSPIRACY CIRCUS wurde als Film und Theaterstück konzipiert, um die Wahrheit über diesen Prozeß unter die Leute zu bringen.

(Produktionsmitteilung, Infoblatt Nr. 30, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971)

Ein surrealistischer Gerichtsraum

Der Film THE GREAT CHICAGO CONSPIRACY CIRCUS begann, als eine Gruppe befreundeter Schauspieler aus einem Repertoiretheater sich entschloß, ein Theaterstück nach dem Pro- zeß, der in Chicago gegen Abbie Hoffman, Jerry Rubin und andere geführt wurde, zu machen. Als sie die Protokolle des Prozesses lasen, wurde ihnen klar, daß der Prozeß von Chicago ein Theaterereignis eigener Art war, das nicht nur von Rubin und Hoffman mit ihren Ideen des apokalyptischen Theaters, sondern auch vom Richter Hoffman mit Unterstützung des Staatsanwalts gestaltet wurde, und daß die Worte, die bei dem Prozeß gesprochen wurden, zugleich eine Komödie und eine Tragödie ergaben. Ich drehte den Film zusammen mit meinen Freunden vom Theater. CHICAGO wurde auch als Theaterstück produziert.
Wir entschlossen uns, in die wirklichen Gerichtsszenen die Gerichtsszene aus „Alice im Wunderland“ einzuschneiden, als es deutlich wurde, daß beide Prozesse in gleichem Maße irrsinnig waren.
Wir entschlossen uns auch, die Szenen in einem surrealistischen Geschichtsraum spielen zu lassen und den realen Worten eines realen Vorgangs eine bestimmte dramatische Emphase mitzuteilen, um das Ereignis durch einen Prozeß der Verfremdung zugleich surreal und extrem real erscheinen zu lassen.
THE GREAT CHICAGO CONSPIRACY CIRCUS ist im wesentlichen ein Bericht über das, was bei dem Prozeß geschah. Er wurde bewußt nicht als ein ‚filmischer’ Film gemacht, sondern als ein Film, der in möglichst einfacher und direkter Weise das darstellt, was im Gerichtssaal geschah. Er ist bizarr, komisch und traurig, aber so war es bei dem Prozeß. Jedes Wort, das im Gerichtssaal des Films gesprochen wird, wurde auch im wirklichen Gerichtssaal gesprochen. Der Film ist ein Dokument, aber auch eine Sturmwarnung.

(Kerry Feltham, Infoblatt Nr. 30, 1. Internationales Forum des jungen Films, Berlin 1971)

Zerrbild der amerikanischen Justiz

(...) Jener Richter Hoffmann, der 1970 im sogenannten „Verschwörungsprozess von Chicago“ ungeheuerliche Ordnungsstrafen gegen aufsässige Yippies (Anm.: Mitglieder der Youth International Party, einer antiautoritären und anarchistischen Jugendbewegung in den USA) und Black Panthers verhängte und den Prozeß durch die Verweigerung von Grundrechten zur Farce machte, ist bereits in die Justizgeschichte eingegangen.
Der Kanadier Kerry Feltham sorgte dafür, dass Hoffman vielleicht auch in die Filmgeschichte eingeht, nämlich als Drehbuch-Co-Autor: Felthams Film „Der große Chicagoer Verschwörungszirkus“ basiert auf authentischen Gerichtsprotokollen, in denen die unfreiwilligen Pointen Hoffmans registriert sind.
Eine Gruppe junger Darsteller spielt, ständig die Rollen wechselnd, die Etappen des Prozeßes nach, als handle es sich um Zirkusnummern; Schlußbild ist ein Antlitz, dem die amerikanische Flagge den Mund verbindet. Dieser Film steckt voller Brisanz, ist mehr als bloßes schwarzes Kabarett: In ihm zeichnet die amerikanische Justiz ihr eigenes Zerrbild.

(Helmut Kotschenreuter, Abendzeitung, 5.7.197. Pressespiegel Forum 1971)

Produktionsfirma Monitor Productions (Kanada). Regie Kerry Feltham. Buch Stenogramm des Chicagoer Verschwörungsprozesses und Lewis Carolls 'Alice im Wunderland'. Kamera Morgens Gander, Henri Fiks. Montage Italo Costa, Featherstone Fanshaw. Mit Mel Dixon (Bobby G. Seale), Jim Lawrence (Mark Lane), Calvin Butler (Arlo Guthrie), Neil Walsh (Mayor Daley), Steven Bush (Allen Ginsberg), Peter Faulkner (Abbie Hoffman), Neil Walsh (Country Joe McDonald), Diane Grant (Linda Morse), François-Regis Klanfer (DJ).

Filme

1970: Cuba: The State of the Revolution. 1979: The Waltzing Policemen (4 Min.). 1981: Friday and Clyde (11 Min.). 1983: Too Much Oregano (8 Min.). 1988: State Park / American Eiskrem 2 – Jetzt ist der Bär los (87 Min, Co-Regie: Rafal Zielinski). 1999: Karen Black: Actress at Work (55 Min.). 2008: Will to Win: Pali Goes to Shakespeare Fest (78 Min.). 2011: Larry's Big Day (15 Min.).

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