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Nach zwei Jahren Arbeit im Untergrund während der Militärdiktatur von Juan Carlos Onganía hatte der Dokumentarfilm La hora de los hornos (Die Stunde der Hochöfen) des Argentiniers Fernando Solanas am 2. Juni 1968 seine Weltpremiere bei der Mostra Internazionale del Cinema Nuovo in Pesaro, Italien. Nicht einmal ein Monat war seit den französischen Mai-Unruhen vergangen, und das Feuer aus Paris begann gerade, sich über ganz Europa auszubreiten. In diesem Kontext des politischen Aufruhrs löste das Erscheinen eines lateinamerikanischen Films wie La hora de los hornos – ein erklärter Aufruf zur Revolution, dessen erster Teil mit einer festen Einstellung von Che Guevara (seit dessen Tod noch nicht einmal ein Jahr vergangen war) endete – ein wahres Beben im Weltkino aus, das in jenen Tagen nicht nur seine Sprache, sondern auch seine politische und gesellschaftliche Funktion diskutierte.

Die Schockwelle von Solanas‘ Film (der kurz nach seiner Aufführung in Pesaro auch im Arsenal am Wittenbergplatz gezeigt wurde) war immens. Die wichtige Präsenz und der ausgesprochen politische Charakter der Auswahl lateinamerikanischer Filme in der ersten Ausgabe des Forums 1971 standen unter dem Einfluss von La hora de los hornos. So ist es zweifellos der Fall bei Argentina, mayo de 1969: Los caminos de la liberación der Grupo de Realizadores de Mayo, der ebenfalls im Untergrund entstand.

Der Name der Gruppe wurde nicht nur gewählt, um die Macher des Films durch Anonymität zu schützen, sondern war auch eine Grundsatzerklärung gegen die bürgerliche Kategorie des „Autoren“, deren Abschaffung als notwendig empfunden wurde. Dies hatte Solanas bereits zur Gründung der Grupo Cine Liberación und Jean-Luc Godard und Chris Marker zu den Gruppen Dziga Vertov bzw. Medvedkin bewegt, wobei letztere ebenso im Eröffnungsprogramm des Forums 1971 vertreten waren. Der Film der Grupo Realizadores de Mayo (der in Argentinien dank der Unterstützung von Peter B. Schumann, dem wichtigsten Fürsprecher des lateinamerikanischen Kinos in Berlin, rekonstruiert werden konnte) ist besonders repräsentativ für die Zeit und war von Anfang an als „Beitrag zum Befreiungsprozess in Argentinien und Lateinamerika“ beabsichtigt. Ausgangspunkt sind die Volksaufstände im Mai und im Juni 1969 in den Fabrikvorstädten der Provinz Córdoba, besser bekannt als „Cordobazo“. Aber der Film versucht weiter zu gehen und ein Werkzeug für revolutionäre Aktionen und kollektive Debatten zu werden, die im Anschluss der Vorführung beginnen sollten. Der Film Argentina, mayo de 1969 vereint in großer Vielfalt und Formfreiheit Material aller Art: Dokumentar-, Spiel-, Animations- und sogar Werbefilme. So zeigt eines seiner stärksten Fragmente (und gleichzeitig lustigsten: eine seltene Art von militantem Film mit Humor), wie ein Molotowcocktail hergestellt und verwendet wird, ganz so, als würde man ein Massenprodukt verkaufen.

Unter ebenso prekären wirtschaftlichen Möglichkeiten und mit spärlichen technischen Mitteln entstanden der Kurzfilm Las banderas que levantamos (Die Fahnen, die wir erheben) über die Gründung des Parteienbündnisses Frente Amplio (das seit 2004 das Land regiert) im Jahr 1971 und der chilenische Kurzfilm Santa María de Iquique über das Massaker, das dort um 1907 von der nationalen Armee an 3.600 Arbeitern verübt wurde. Diese formal eher wenig einfallsreichen Filme funktionieren jeder auf seine Art als „Gegeninformation“, ein Konzept, das in jener Zeit geboren wurde, als die Kommunikationsmittel noch konzentrierter waren als heute (und das heißt einiges) und als die Verbreitung von Ideen, die dem vorherrschenden Diskurs widersprachen, dringend notwendig war.

Dieses Konzept des alternativen Diskurses – aus politischer, aber auch aus kinematografischer Sicht – war schon immer Bestandteil des Projekts des Internationales Forums des Jungen Films und wird in den lateinamerikanischen Spielfilmen, die zum Programm von 1971 gehören, offensichtlich. Walter Lima Jr. scheint in seinem brasilianischen Film Na boca da noite sowohl von Brechts berühmtem Axiom („Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“) als auch von Glauber Rochas kinematografischer Poetik, insbesondere von Terra em transe (Earth Entranced, 1967), einem der einflussreichsten Filme des Cinema Nôvo, inspiriert zu sein.

Die Entfremdung des Protagonisten – eines Bankangestellten, der entschlossen ist, Rache zu nehmen für seine an den verhassten Job verlorene Jugend – verstärkt sich noch durch seine Verachtung für einen Kollegen aus der Reinigungsbranche, mit dem er eine verrückte Nacht teilt. Über diesem Teufelskreis, in dem der Unterdrückte wiederum jemanden unterwirft, der auf der sozialen Leiter noch weiter unten steht, schwebt die Idee von einer Gesellschaft, die einem Freiluftgefängnis ähnelt, in dem die Bank selbst das Verlies darstellt. Wenn etwas neben den Allegorien den Film am Leben hält, ist es die lebhafte Wut gegen das herrschende System, einschließlich des Kinos selbst, so zum Beispiel wenn der Protagonist die vierte Wand einreißt und die Zuschauer*innen und das „Licht, das durch ihre Köpfe strömt“ zur Rede stellt.

Diese Hinterfragung von Produktionsprozessen – im Kino, aber auch von revolutionären Ideen – bildet den Mittelpunkt von Voto más fusil (Stimmzettel und Gewehr) des Chilenen Helvio Soto. Der Film von Soto konzentriert sich auf die Ereignisse, die im demokratischen Sieg des revolutionären Sozialismus von Salvador Allende und der Unidad Popular im November 1970 gipfeln, und spielt dabei frei mit Einschnitten in der Geschichte des Landes wie den Erfahrungen der Frente Popular im Jahr 1936 und dem Verbot der Kommunistischen Partei 1947. Die Darstellung der verschiedenen Kräfte des Konflikts, die sowohl die chilenischen Linken als auch die Rechten umfassen, mag heute in ihrer Inszenierung und Schauspielführung veraltet erscheinen. Aber man muss anerkennen, dass die These von Sotos Film traurig und visionär seiner Zeit voraus ist.

Bereits im Titel warnt der Film Voto más fusil – mit Allende, der die Macht erst übernommen hatte –, dass es nicht reicht, die Macht durch Wahlen zu gewinnen; der Sieg muss mit Waffen gestärkt werden, denn die Rechte ist zu allem bereit, um ihre Privilegien zu halten. „Einstweilen wird es reichen, seinem Genossen Präsidenten zu applaudieren“, sagt eine Figur zu einer anderen am Ende des Films inmitten der Freude über die Machtübernahme durch Salvador Allende. „Aber später wird man dann das Gewehr im Auge behalten müssen, falls der Tag kommt.“ Wie die Geschichte zeigt, kam dieser Tag kaum mehr als zwei Jahre später, am 11. September 1973 mit der Bombardierung des Palastes La Moneda.

Aber als das Forum 1971 stattfand, lebte Salvador Allende noch und seine nagelneue Regierung weckte die Sympathien der Linken in aller Welt. Vielleicht ist das der Grund, dass Chris Marker in seinem Film La bataille des dix millions (Die Schlacht der zehn Millionen) betont, dass „Kuba in diesem Jahr nicht so in Mode ist“ und dass wir Europäer „wie die alten Diven sind, auf der Suche nach immer jüngeren Männern: und wir heiraten die jeweils neuste Causa“. Marker widmet, zusammen mit Valérie Mayoux, seine Aufmerksamkeit Fidel Castros epischer Kampagne zur Erreichung einer Rekord-Zuckerrohrernte im Jahr 1970, die es dem Land ermöglichen würde, seine Wirtschaft trotz der Handelsblockade der USA ins Gleichgewicht zu bringen. Dabei verwendet er Archivmaterial des großen kubanischen Dokumentarfilmers Santiago Álvarez und des Nachrichtenmagazins Noticiero ICAIC.

Man könnte sagen, dass das, was Marker an diesem Prozess am meisten interessiert, nicht nur die übermenschlichen Anstrengungen des kubanischen Volkes sind, sondern schließlich auch das offene Eingeständnis des Scheiterns seitens seines Führers: „Unsere Feinde sagen, dass wir Schwierigkeiten haben, und da haben sie recht“, räumt Castro in einer überraschend selbstkritischen Rede gegenüber den mobilisierten Massen am 26. Juli 1970 ein. Wie sein Freund Álvarez, der bereits eine kurze Polemik über die Lebensmittelrationierung auf der Insel gedreht hatte, versteht auch Marker, dass das Akzeptieren von Problemen und Fehlern zur Stärkung des revolutionären Prozesses beiträgt. Sieben Jahre später jedoch, in Le fond de l‘air est rouge (Rot ist die blaue Luft), würde Marker sich von der entschieden prosowjetische Wende der Kubanischen Revolution enttäuscht erklären.

Zum Programm des Forums 1971 gehörten zwei weitere Dokumentarfilme über Lateinamerika, die in ihrer Form konventioneller sind. México, la revolución congelada des Argentiniers Raymundo Gleyzer (der von der Militärdiktatur im Mai 1976 zum Verschwinden gebracht wurde, als er noch nicht einmal 35 Jahre alt war) legt den späteren Verrat der mexikanischen Partido Revolucionario Institucional offen, durch den sie sich seit 1928 an der Macht hielt (und es bis 2018 weiterhin tat). Die Besonderheit des Films von Gleyzer ist, dass er die Geschichte von innen heraus erzählt, in unmittelbarer Nähe zum Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten der PRI Luis Echeverría im Jahr 1970. Dieser glaubte, das ausländische Filmteam stehe auf seiner Seite, während es in Wirklichkeit im Namen der Opfer des Massakers von Tlatelolco drehte.

Der Film Bananera libertad des Schweizers Peter von Gunten wiederum begibt sich auf Reise zu den Diktaturen Paraguays, Perus und Guatemalas, um von dort über den schonungslosen Kontrast zwischen dem Leben der Großgrundbesitzer und dem Elend ihrer Arbeiter zu berichten. Aber er hält sich nicht an einer chirurgischen Beschreibung auf, sondern bietet zum Ende eine Coda an. Er fügt ein viertes Land hinzu: die Schweiz. Auf einem der typischen Kinoplakate jener Zeit liest man: „Sie arbeiten für uns“ und sieht dabei in einem opulent bestückten Supermarkt in Zürich die Bananen, die im Film durch Kinderarbeit in Guatemala für United Fruit geerntet und verpackt werden.

Ein halbes Jahrhundert später widmet das Forum – das seit seiner Gründung stets ein Bezugsraum für das lateinamerikanische Kino war – dem politischen Kino aus der Region weiterhin besondere Aufmerksamkeit, wie es Responsabilidad empresarial(Corporate Accountability) des Argentiniers Jonathan Perel in der diesjährigen Ausgabe bezeugt. Heute geht es nicht mehr um militantes Kino, wie es damals konzipiert wurde. Die kinematografischen Formen sind ausgereifter geworden, aber sowohl die ästhetischen Entscheidungen als auch der Mut, die Dinge beim Namen zu nennen, sind nach wie vor von Bedeutung.

Das politische Kino Lateinamerikas hatte von Anfang an einen wichtigen Platz im Forum. Die meisten der im Text erwähnten Filme sind im März im Kino Arsenal zu sehen.

Luciano Monteagudo ist Journalist und Filmkritiker für Página 12. Er war langjähriger Programmchef des Lugones-Saals des Teatro San Martín in Buenos Aires und ist für die Berlinale und das Forum als Berater für Lateinamerika tätig.

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