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24 Min. Spanisch, Okaina.

Den Muina-Muruí im Amazonas gilt das Blatt der Coca-Pflanze als höchste Heiligkeit. Es ist kein Objekt oder Produkt, sondern eine Person, ein immaterielles, weibliches, heiliges Wesen, das Zugang zu Erleuchtung und Weisheit bringt. Sie konsumieren das Blatt in Form eines grünen Pulvers, das auf Uitoto „Jíibie“ und auf Spanisch „Mambe“ genannt wird, und nutzen es bei der Landarbeit oder beim Fischen. Vor allem aber kommt es im „Ritual des süßen Gesprächs“ zum Einsatz, in dem Männer sich zu stundenlangen politischen Debatten versammeln. Die psychotropische Substanz „versüßt“ die Diskussion, erlaubt die Artikulation komplexer Ideen und wird so zur Basis des Zusammenlebens.
Jíibie zeigt die Herstellung des Pulvers als rhythmische, polyphon-kollektive Tätigkeit junger Männer: Die Pflanze wird verbrannt, mit anderen Pflanzen vermengt, zu Asche und Pulver reduziert. Die Gesten der Männer erinnern an die spirituelle Natur des Coca-Wesens und verweisen auf eine jahrhundertalte Tradition des Widerstands. Seit der Ankunft der Europäer*innen wurde die Nutzung von Coca unterdrückt. Durch die Sichtbarmachung der Mambe-Produktion versucht der Film eine alternative und einzigartige Nutzung der Pflanze zu zeigen, die unser Verhältnis zur Natur neu definiert.

Laura Huertas Millán, geboren 1983 in Bogotá, Kolumbien, ist eine französisch-kolumbianische Filmemacherin. Im Jahr 2017 promovierte sie an der Université PSL und dem Sensory Ethnography Lab der Harvard University. Ihre hybriden Filme wurden ausgezeichnet und auf internationalen Filmfestivals und in Kinos gezeigt.

Regiestatement

JÍIBIE ist Teil einer Serie von Arbeiten rund um die Cocapflanze.

Vor der Ankunft der Spanier*innen war das Leben der indigenen Völker der Anden vom Cocastrauch bestimmt, deren Blätter auf vielfältige Arten genutzt wurden: In Ritualen, in Erinnerungspraktiken, als Medizin … Diese Methoden wurden von der Kolonialgesellschaft unterdrückt und geächtet und überlebten in den indigenen Gemeinschaften im Verborgenen. JÍIBIE zeigt einen Teil der heute noch bei den Muiná-Muruí – einer indigenen kolumbianischen Gemeinschaft, die im Amazonas lebt – existierenden Rituale und Kosmologien, die die Pflanze umgeben.

Der Film fokussiert auf die Herstellung von Mambe, einem grünen Cocapulver, das in der Uitoto-Sprache auch Jíibie genannt wird. Im Film ist Cristobal Gomez Abel zu sehen, ein Mitglied der Muiná-Muruí-Gemeinschaft, mit dem ich seit 2011 zusammenarbeite. Gemeinsam haben wir bereits vier Filme gedreht. Er ist mein Mentor und hat mir gezeigt, wie die Pflanze genutzt und verehrt wird. JÍIBIE führt unsere Zusammenarbeit auf die nächste Stufe: Cristobal beschloss, mich in die Herstellung des Mambe in seiner Familie einzuführen, die er gemeinsam mit seinen Neffen und Cousins durchführt. Während dieses Prozesses wurde der Schöpfungsmythos des Mambes ein Schlüssel zum Verständnis der wirkmächtigen Gesten und gemeinschaftlichen Sorge für die Pflanze. Dieser Mythos von Verwandtschaft und Liebe wurde so zum strukturgebenden Element des Films.

Wieso einen Film über den Cocastrauch machen? Wieso in einer Gemeinschaft, die nicht meine eigene ist? Der Krieg gegen die Drogen hat mein Heimatland, Kolumbien, auseinandergerissen. Mehr als fünfzig Jahre lang wurden nutzlose Strategien der Unterdrückung und Prohibition verfolgt, die den Kreislauf von Gewalt und bewaffneten Konflikten nur noch anheizten. Der andauernde Kriegszustand führte zum Verlust der Souveränität: Ausländische militärische Interventionen sind omnipräsent.

Unzählige Filme und Fernsehserien sind zu diesem Thema entstanden. Viele von ihnen reproduzieren die gleichen stereotypen Bilder der Drogen und der Menschen, die mit ihnen zu tun haben. Trotz dieser breiten Aufmerksamkeit habe ich dennoch das Bedürfnis, mich mit diesem Thema, das so substanziell für unsere Geschichte und Selbstbestimmung ist, weiter auseinanderzusetzen. Die langjährige Zusammenarbeit mit Cristobal Gomez hat meine Wahrnehmung der Pflanze und mein Verhältnis zur Natur verändert. Um den kolumbianischen Krieg zu beenden müssen wir mit den indigenen Gemeinschaften zusammenarbeiten, sie in unsere nationalen politischen Entscheidungsprozesse einbeziehen, ihnen zuhören und von ihnen lernen. Unser aller Überleben hängt von dieser kollektiven Intelligenz ab.

Für mich als Künstlerin und Filmemacherin ist dieser Film Teil eines Prozesses der langsamen Immersion in Cristobals Gemeinschaft, in die er mich seit nun bereits acht Jahren einführt. Nach diesem Film werden wir unsere Zusammenarbeit fortsetzen. Der nächste Schritt wird sein, darüber nachzudenken, wie die Technologien und Narrative des Kinos für die Muiná-Muruí zugänglich gemacht werden können.

Produktion Laura Huertas Millán. Produktionsfirma Studio Arturo Lucia (Paris, Frankreich). Regie, Buch Laura Huertas Millán. Kamera Mauricio Reyes. Montage Laura Huertas Millán. Musik Lea Bertucci. Sound Design Jocelyn Robert. Mit Cristobal Gómez Abel, Pedro Armando Sopín Morales, Harold Jeferson Gomez Florez, Ciber Olmedo Morales.

Filme

2011: Journey to a land otherwise known (23 Min.). 2012: Aequador (19 Min.). 2016: Black Sun (43 Min.). 2017: La Libertad (31 Min.). 2018: jeny303 (6 Min.), The Labyrinth (21 Min.). 2019: Jíibie.

Foto: © Laura Huertas Millán

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