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260 Min. Kuikuro, Portugiesisch, Französisch, Russisch, Englisch.

In Luz nos trópicos entwickelt Paula Gaitán ein dichtes Gewebe aus Handlungssträngen, Zeitebenen und Schauplätzen. Durchwirkt ist es von indigenen Kosmologien, von Reiseberichten und anthropologischer Literatur. Zunächst folgt die Regisseurin einem jungen Mann indigener Herkunft. Zu Beginn steht er am winterlichen East River, bald fährt er flussaufwärts durch den brasilianischen Urwald hin zu einem Dorf, in dem er wie ein alter Bekannter begrüßt wird. In einem zweiten Strang begleitet die Regisseurin eine Gruppe europäischer Siedler. Auch sie fahren flussaufwärts, sammeln, nehmen in Besitz und suchen nach der Position, von der aus sie Wald und Fluss überblicken können. Etwa 150 Jahre trennen die eine von der anderen Ebene, manchmal hebt ein Kopfsprung ins Wasser die Trennung in Sekundenkürze auf. Später zieht es den Film zurück in den Norden, die Ebenen fallen ineinander. Zwischen dem Walden-Pond und dem Amazonas liegt nur ein Schnitt.
Luz nos trópicos ist eine Hommage an die grüne Fülle des Amazonasgebiets, die Wälder des winterlichen Neuenglands und die indigene Bevölkerung der beiden Amerikas. Ein Film, der so frei fließt wie ein unbegradigter Fluss. (cn)

Paula Gaitán wurde 1952 in Paris geboren. Nach ihrer Mitwirkung als Art Director bei Glauber Rochas A Idade da Terra (1980) folgten zahlreiche eigene Regiearbeiten: Gaitán realisierte Spielfilme, Videos, Fernsehserien und Installationen, außerdem filmische Dokumentationen über Éliane Radigue, Ken Jacobs und Agnès Varda. Gaitán lebt und arbeitet in São Paulo.

Der Fluss der Ahnen und der Geschichte

LUZ NOS TRÓPICOS ist ein Spielfilm, der das Aufeinanderprallen von europäischer Rationalität und tropischem Überschwang beschreibt und in dem sich Geografie und Körper in einem Veränderungsprozess befinden, ähnlich wie das Wasser von Flüssen – einem zentralen Element dieser Arbeit, meinem achten abendfüllenden Film. Auf einem Fluss, der dem indigenen Volk der Kuikuro seit Urzeiten als heilig gilt, werden wir Zeugen des Fortschreitens der Zeit. Über Jahrhunderte hinweg haben weiße Forscher diesen Fluss in ihren Booten befahren, auf der Suche nach ästhetischen, wirtschaftlichen, messianischen oder anthropologischen Idealen.
Es ist dieser Aspekt der Erinnerung, aus dem heraus die Geschichte von LUZ NOS TRÓPICOS sich entfaltet, mittels der Protagonist*innen des Films, die die ungeahnten, geheimnisvollen, ausgedörrten Landschaften – in denen der erhoffte Überfluss nicht existiert – gleichermaßen durchschreiten und miteinander verweben.
Der Film basiert auf den Spuren unterschiedlicher Arten von Reisen: nomadischer Bewegung, Fahrten, Entwurzelung und Exil – diese Schwerpunkte haben bereits meine beiden früheren Filme THE VOLCANO EXILES und DAYS IN SINTRA geprägt. In der Form einer Besichtigung ist LUZ NOS TRÓPICOS eine Art filmisches Tagebuch, ein filmisches Flusstagebuch, eine Kontaktaufnahme mit seinen auf der Durchfahrt, im Übergang sich befindenden Figuren, eine Begegnung, eine Verbindung. Der Film ist eine Begegnung mit dem Anderen, ein Zusammentreffen von Körpern, ein Verschmelzen der Formen (Kino, Poesie und Performance). Ein Kino, das Leben stiftet, Dasein und genau deshalb auch Exil.

Drei historische Zeitebenen
In LUZ NOS TRÓPICOS verlaufen zwei Reisen parallel zueinander. Eine Reise ist real, findet wirklich statt, zwischen Wasser und Land, und eröffnet den Protagonist*innen eine neue Welt: die Welt Brasiliens mit seinen Flüssen und seiner Natur, die im 19. Jahrhundert noch intakt war, die jedoch im 20. und nun auch im 21. Jahrhundert zunehmend zerstört wurde und wird. Die andere – subjektive – Reise taucht in die Erinnerung ein, legt okkulte, einander überlagernde Welten frei, zum Beispiel jene von indigenen Mythen, in die sich einer der Protagonisten begibt, als er zurückkehrt und sich mit seinen Kuikuro-Ahnen wiedereint.
LUZ NOS TRÓPICOS ist ein Fluss-Film, der drei historische Zeitebenen zu einer polyphonen Klangwelt über verschiedene Sprachen – Kuikuro, Portugiesisch, Russisch und Französisch – hinweg zusammenführt, um ein visionäres, kosmologisches Ahnenepos zu gestalten und damit eine neue Wahrnehmung zu eröffnen, in der mögliche und grenzenlose Welten erfahrbar werden.
Licht spielt eine zentrale Rolle in dem Film. Der impressionistische Umgang damit – zuweilen ist es grell und pfeilartig durchdringend – bildet das ästhetische Rückgrat von LUZ NOS TRÓPICOS. Mit Licht zu arbeiten, heißt auch, Schatten mit einzubeziehen – eine Dualität, die jedes Bild ebenso prägt wie die Geschichte des Kinos generell.
Der Film wurde auf unterschiedlichem Material und mit unterschiedlicher Technik gedreht: in digitalem Format sowie auf 16-mm- und Super-8-Film. Verwendet wurden außerdem eine Reihe ikonografischer Bilder. Die Verflechtung dieser Herangehensweisen ermöglicht unterschiedliche Texturen in den Bildern und erlaubt eine Auseinandersetzung mit dem Wandel der Technik (von Fotografie zu Film zu Video). Mit der Veränderung des Bildes werden wichtige Fragen in Bezug auf die Wahrnehmung von Bildern aufgeworfen: Auch diese befindet sich in einer permanenten Metamorphose, in einem Prozess, in dem Mythen und Menschen überlagert werden, aus dem sich eine Welt im Trancezustand entwickelt und eine neue Beziehung zum Wesen der Dinge.

Das Licht und der Fluss
In LUZ NOS TRÓPICOS sind Figuren und Sprache Konzepte, die immer wieder vermischt und verzerrt werden. Zum einen gibt es eine erkennbare Dramaturgie, die auf den Figuren und einem dramatischen Rhythmus beruht. Zum anderen gibt es zwei wesentliche Einheiten, die alles miteinander verbinden: das Licht und der Fluss.
LUZ NOS TRÓPICOS ist ein rhizomatisches Projekt. Seine Wurzeln befinden sich im Wasser, sie sind vom Fluss getragene, treibende Übergangsräume, die von einem Jahrhundert ins nächste reichen. Ebenso wie sich die ‚fremden‘ Personen fortwährend verändern und im Fluss der Geschichte in stets neuen ‚inneren Befindlichkeiten‘ erscheinen, müssen die Indianer, die von weißen Siedlern bedroht und ausgebeutet wurden, heutzutage das Land ihrer Ahnen verlassen und ein nomadisches Leben führen. Sie steuern das Instrumentarium ihres eigenen Wissens, ihre eigene Art des Diskurses, sie erschaffen Mythen, die nicht länger die sind, die sie einst waren. Sichtbar wird eine sich wandelnde, räumlich-zeitliche Welt in Trance.
LUZ NOS TRÓPICOS basiert nicht auf bereits existierendem Material, sondern auf einem Originaldrehbuch. Mit der Recherche und der Entwicklung des Stoffs habe ich im Jahr 2000 begonnen. Das Projekt kreist um Fragen des Bildes und seine Formen der Darstellung, um Mythen, um die Geschichte Brasiliens und der Welt, jeweils basierend auf Büchern, u. a. von Claude Lévi-Strauss, Pierre Clastres, Darcy Ribeiro und Walter Benjamin. Ein weiterer Einfluss war nicht zuletzt mein erster abendfüllender Film UAKÁ (CÉU), den ich 1988 bei den Kamayurá am Fluss Alto Xingú (Brasilien) gedreht habe. (Paula Gaitán)

Produktion Eryk Rocha, Vitor Graize. Produktionsfirmen Aruac Filmes (São Paulo, Brasilien), Pique-Bandeira Filmes (Vitória, Espírito Santo, Brasilien). Regie, Buch Paula Gaitán. Kamera Pedro Urano. Montage Paula Gaitán. Sound Design Marcos Lopes, Paula Gaitán, Tiago Bello. Ton Marcos Lopes. Production Design Diogo Hayashi. Kostüm Maíra Senise. Maske Leon Gurfein. Regieassistenz Manuel Moruzzi. Production Manager Violeta Rodrigues. Ausführende*r Produzent*in Vitor Graize. Mit Carloto Cotta, Clara Choveaux, Kanu Kuikuro, Maíra Senise, Begê Muniz, Arrigo Barnabé, Daniel Passi, Erik Martincues, Nilton Amazonas, John Scott-Richardson, Paulo Nazareth, Vincenzo Amato, Carolina Virgüez, Vitor Aurape Peruare, Jack Manley. 

Filme

1987: Olho D'Água (36 Min.). 1989: Uaka / Sky (90 Min.). 1991: Lygiapape (43 Min.). 1995: Vuelo de Condor (28 Min.). 1996: Presença, Ausência (30 Min.). 1997: Marta Traba, Palabra Mujer (28 Min.). 2004: Pela Água (8 Min.). 2007: Pelo Rio / River (13 Min.), Diário de Sintra / Days in Sintra (90 Min.). 2008: Monsanto (22 Min.). 2009: Vida / Life (72 Min.), Kogi (13 Min.). 2010: Agreste (72 Min.). 2013: Exilados do Vulcão / The Volcano Exiles (122 Min.), Memória da Memória / Memory of the Memory (25 Min.). 2015: Noite / Night (87 Min.). 2016: A Chuva do Meu Jardim / La Pluie dans mon Jardin (28 Min.). 2017: Sutis Interferências / Subtle Interferences (79 Min.), Mulher do Fim do Mundo, Elza Soares (5 Min.).

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