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Uli Ziemons: Ich möchte mit Euch über den Film selbst sprechen, aber auch über seine Produktion, denn diese unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht sehr deutlich von anderen Filmen in unserem Programm. Ana, könntest Du Dein Team vorstellen und uns dann ein wenig darüber erzählen, wie das Projekt zustande kam und wie Du die Schule gefunden hast, mit der Du zusammengearbeitet hast?

Ana Vaz: Danke nochmal, Uli, für die Organisation dieses Gesprächs. Und herzlich willkommen Paula Nascimento, die den ganzen Prozess der Produktion und des Werdens von 13 WAYS OF LOOKING AT A BLACKBIRD mitorganisiert hat. Paula arbeitet für EGEAC, die Institution, die das Projekt in Auftrag gegeben hat. Es ist wichtig diesen Film innerhalb des größeren Zusammenhangs eines Projekts namens Descola zu verorten – der Projektname bedeutet in etwa „Entschulung“ und steht für einen Zugang zu kritischer Pädagogik, der versucht, Lehre und Wissensvermittlung experimenteller und intersektionaler zu denken.

Paula Nascimento: Ich arbeite für EGEAC, einer vom Stadtrat geschaffenen Institution, die alle städtischen Kulturorte managt – Museen, Galerien, Theater, usw. EGEAC betreibt das Projekt Descola, das Ana erwähnt hat. Das Projekt wird jeweils im Laufe eines Jahres mit einer Schule, einer Künstler*in und in Zusammenarbeit mit einem Kulturort durchgeführt. Die Kunstform und die Art der Lehre ist dabei sehr offen. Die Künstler*innen präsentieren ihre Idee: „Ich würde gerne mit dieser Schule in diesem Format arbeiten.“

Im Falle der Galeries Municipais hatte deren Direktor und Programmgestalter Tobi Maier Ana eingeladen. Und so habe ich sie in einem Treffen mit Tobi kennengelernt, in dem er sagte: „Dies ist die Künstlerin, mit der Du das Projekt entwickeln wirst.“

In den ersten Projekttreffen war meine einzige Intention, mit einer Idee zu arbeiten, die mir sehr am Herzen liegt, wenn es ums Filmemachen geht: die Beziehung zwischen Körper und Kamera.

Ana: Genau. Vor anderthalb Jahren wurde ich von EGEAC eingeladen, ein Projekt für die Descola-Initiative zu entwickeln. Ich wurde gebeten, ein Projekt vorzuschlagen, das eine Verbindung zu einer Schule in Lissabon haben sollte. Da ich nicht das ganze Jahr über in Lissabon lebe, machte ich mir Sorgen darüber, wie ich überhaupt eine Schule finden sollte, mit der ich zusammenarbeiten könnte. In den ersten Projekttreffen war meine einzige Intention, mit einer Idee zu arbeiten, die mir sehr am Herzen liegt, wenn es ums Filmemachen geht: die Beziehung zwischen Körper und Kamera. Ich erzählte davon – wir hatten gerade mit dem Brainstorming begonnen – und Paula hatte eine, wie ich finde, großartige Eingebung, denn sie sagte etwas im Sinne von: „Wie wäre es mit einer Schule, die für ihr Sportprogramm bekannt ist?“ Und ich dachte: „Ja, das ist doch toll! Das wäre ein Anhaltspunkt, oder?“ Und dann schlug Paula freundlicherweise die Schule vor, auf die sie selbst gegangen war. Ich tendiere in Projekten wie diesem dazu, mit Verbindungen und Verweisen zu arbeiten, die auf Affekt basieren, nicht nur mit Ideen, die sehr weit von dem Ort entfernt sind, an dem ich arbeiten werde. Ich hielt diese Affekt-basierte Verbindung für einen guter Startpunkt. Und so nahm mich Paula nicht nur zu ihrer alten Schule mit, sondern wurde auch Teil der wöchentlichen Workshops, die während des gesamten Schuljahres stattfanden.

Meine Idee sah vor, dass in den ersten drei Monaten der Workshops, die sich dezidiert mit dem Filmemachen beschäftigen sollten, keine Kamera angefasst würde. Mir war klar, dass das eine Anstrengung bedeuten würde, doch ich wollte wirklich nicht, dass wir uns direkt ins Bildermachen stürzen. Mir war daran gelegen, gemeinsam darüber nachzudenken, was es bedeutet, ein Bild zu machen, wie wir Bilder machen und mit welchen Mitteln. Und vor allem wollte ich erkunden, wie unsere Körper als sensorisches Werkzeug zur Erschaffung eines kollektiven Wissens genutzt werden können.

Ich bin sehr froh, dass Vera Amaral heute auch dabei ist, leider konnte Mário Neto nicht dazu stoßen. Es waren die beiden – gemeinsam mit einer kleinen Gruppe weiterer Schüler*innen –, die von Anfang an dabei waren und die durchgehalten haben, sogar durch die Pandemie hindurch, die unsere Gruppe sehr stark reduziert hat. Man kann sich vorstellen wie schwer es ist, wenn man nach einem halben Jahr, in dem man so viel Zeit in der Gegenwart von Körpern verbracht und über Verkörperung nachgedacht hat, plötzlich über Skype einen Film konzipieren muss. Ich bin sehr dankbar, dass Vera, Paula und Mário bis zum Ende dabeigeblieben sind und diese ephemere Gemeinschaft – wie ich sie nennen würde – geschaffen haben, die eng mit der Entstehung des Films verbunden ist.

Uli: Lasst uns zum Film springen und über das Gedicht von Wallace Stevens sprechen, das den Film eröffnet und dem auch der Titel des Films entliehen ist. Wie würdet Ihr die Beziehung zwischen diesem Gedicht und dem Film im Besonderen und zwischen Film und Poesie im Allgemeinen beschreiben?

Paula: Unsere gemeinsame Arbeit begann im September 2019. Ab März/April 2020 mussten wir uns online treffen, um weitermachen zu können. In diesen Treffen hat Ana immer Übungen für die Schüler*innen für die jeweils kommende Sitzung vorgeschlagen. Ich übernahm einen Teil der Produktionsarbeit und koordinierte all diese Arbeit. Ich wollte so viel wie möglich mitbekommen. Und von Zeit zu Zeit habe ich Input gegeben, den ich für nützlich hielt. Am Ende jeder Sitzung fragte Ana mich nach meiner Meinung und ich gab meine Sicht wieder.

Zu einer Sitzung bat Ana die Schüler*innen, ein Gedicht mitzubringen. Ein Gedicht, das ihrer Meinung nach etwas mit dem zu tun hatte, was wir machten. Ich erinnerte mich an ein Gedicht von Wallace Stevens, das ich einige Monate zuvor in einer andere Videoarbeit gelesen hatte – ich war nicht im Bild zu sehen, nur meine Stimme war zu hören. Es war mir noch sehr präsent. Ich versuchte etwas anderes zu finden, aber nichts, was ich fand, machte so viel Sinn wie dieser Text. Also dachte ich, o.k., dann nehme ich ihn, er ist perfekt. Ich erinnere mich nicht an die Gedichte, die Vera und Mário mitbrachten, aber alle brachten Gedichte und Ideen ein. Und am Ende war es gut, dieses hier zu behalten. Wir hatten so noch eine weitere Perspektive auf all das Material. So kam das zustande.

Uli: Wie habt Ihr über das Gedicht diskutiert? Ich stelle mir eine Diskussion in der Gruppe vor. Ihr habt das Gedicht gelesen und dann versucht, herauszufinden, was es in Bezug auf den Film bedeuten könnte. Erinnert Ihr Euch noch, warum Ihr Euch, als Gruppe, für dieses Gedicht entschieden habt? In welcher Hinsicht ist es perfekt für den Film?

Paula: Die Gruppe hat entschieden. Vera, Mário und Ana. Ich brachte es mit, doch alle Entscheidungen den Film betreffend wurden von ihnen getroffen. Für mich ist es perfekt, weil wir viel über Tiere sprachen, über Wahrnehmung, über die Idee des Menschen, anderen Spezies überlegen zu sein, anderen Tieren, und über das Sehen und das Gesehen-Werden. Das ist eine der wichtigen Verbindungen des Gedichts zum Film, finde ich. Das sagt auch der Film: Wenn Du etwas oder jemanden anschaust, musst Du Dir bewusst sein, dass etwas oder jemand den Blick erwidert. Egal ob es eine Blume ist, ein Vogel, ein Hund oder eine andere Person. Wir sprachen davon, dass wir uns auf Basis dieser Differenz gegenseitig verstehen: Wie können wir den Hund verstehen? Wie versteht der Hund uns? Vera hat diesen wunderbaren Hund, den man am Ende des Films sehen kann – das ist einer ihrer zwei Hunde. Tierische Wahrnehmung, Schauen, Bewusstsein – das sind die Dinge, an die mich das Gedicht denken ließ.

Uli: Ana, Du hast die künstlerischen Übungen angesprochen, die Ihr im Kurs gemacht habt. Sie scheinen eine wichtige Rolle im Entstehen des Films gespielt zu haben – einige von ihnen tauchen sogar in den Credits auf. Mich interessiert diese Idee, sozusagen von anderen Künstler*innen Hinweise entgegenzunehmen, ihre Methoden zu nutzen, um eigene Methoden zu entwickeln. Könnt Ihr einige dieser Übungen beschreiben?

Es war Lockdown als wir unsere ersten Bilder machten. Das Zuhause wurde ein Ort des Hörens und Sehens.

Ana: Vielleicht wäre es gut, wenn Vera hierzu etwas sagen würde. Als wir plötzlich gezwungen waren, unseren Kurs auf Skype fortzuführen, war ich von der sehr intimen Beziehung mit dem Filmemachen, die sie entwickelte, sehr verblüfft. Es war Lockdown als wir unsere ersten Bilder machten. Zu diesem Zeitpunkt wandelten sich die Übungen. Wir hatten zunächst körperliche Übungen gemacht, zu denen etwa Gehen in Stille, Gruppenmeditationen, Spaziergänge, bei denen eine Person die Augen geschlossen hielt und von einer anderen geführt wurde – eine Praktik, die von der Künstlerin Myriam Lefkowitz entwickelt wurde – oder Pauline Oliveros Einstimmungsübungen zählten. Jetzt, durch die Pandemie, waren wir plötzlich sehr weit voneinander entfernt und das Filmen wurde unsere Übung. Doch da wir im Lockdown waren, wurde das Zuhause ein Ort des Hörens und Sehens. Vera, möchtest Du vielleicht erzählen, wie sich Dein Verhältnis zum Filmen im Laufe dieses Prozesses verändert hat? Was hast Du gefühlt? Wie war es, bei Dir zu Hause zu filmen?

Vera Amaral: Ich weiß, dass es anders gewesen wäre, hätten wir alles in der Schule gemacht. Zu Hause auf Ideen kommen zu müssen war, naja, anders. Wenn man an Film denkt, dann denkt man an all diese Universen weit draußen, auf unserem Planeten oder auf anderen Planeten. Zu Hause etwas Interessantes zu entwickeln war da schon anders. Sich eine Geschichte auszudenken oder einer anderen Person etwas zu erzählen. Was mir aus diesen Treffen am stärksten in Erinnerung geblieben ist, ist das Sprechen darüber, wie der Film werden wird. Ana fragte uns dann: Wie seht Ihr den Film? Und wir beschrieben ihn, wir schlossen die Augen und waren still. Warum auch immer, aber in meinem Kopf hatte ich immer diese Idee von Tieren, die sich selbst betrachten. Oder, den Versuch zu verstehen, was sie fühlen. Ich habe immer versucht mir vorzustellen, wie sich ihre Sicht auf die Welt unterscheidet, je nach Tier. Und ich habe versucht mit der Differenz von Licht und Farben zu arbeiten. Ein Grund, warum uns das Gedicht über den Vogel gefiel, war das Thema des Gesehen-Werdens und des Sehens. Denn was wir über die Dinge wissen, haben wir mehr oder weniger von anderen Generationen und von unseren Eltern übernommen. Unser Wissen ist also ein Teil der Gesamtheit aller menschlichen Erfahrungen.

Ich glaube, wir alle haben in die Treffen etwas eingebracht, das zur Entstehung eines solchen Films beigetragen hat. Der Film besteht aus Teilen von uns allen. Das war also anders. Dazu kommt, dass ich noch nie eine solche Erfahrung gemacht hatte. Als Ana in unsere Schule kam, waren meine Freund*innen und ich von Anfang an sehr interessiert, denn sie bot uns etwas an, das anders war. In unserem normalen Unterricht lernen wir den Umgang mit Video, Kameras, Fotografie, Design, Websites und all das. Und Ana kam wegen der Sportler*innen! Sie dachte, dass wir Roboter bauen, aber am Ende ist sie dann bei uns gelandet. Das war also alles so ungewohnt und ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Rahmen meine eigene Vision einbringen kann und tatsächlich ernst genommen würde. Ich bin ja noch nicht so alt und habe noch nicht wirklich viel gemacht. Deshalb war es cool, eine Lehrerin zu haben, die mir auch zuhört. Wir haben uns gegenseitig etwas beigebracht.

Uli: Man sieht dem Film an, dass er ein gemeinschaftliches Projekt ist. Eines, bei dem es nicht so sehr darum geht, dass jemand sagt, „so geht das“, sondern eher: „Lasst uns gemeinsam rausfinden, wie es gehen könnte.“ Vera, Du hast ja bereits darüber gesprochen, was Dich an Anas Kurs gereizt hat, aber ich habe mich auch gefragt, ob Deine Idee von Kino durch den Kurs verändert wurde. Hattest Du eine Vorstellung von Kino, der Ana dann eine andere Idee entgegengestellt hat?

Vera: Ich habe immer ganz normale Filme geschaut. Ich mag alte Filme, wie DER PATE und sowas. Und Robert De Niro. Ich wusste, dass Film vieles sein kann, aber ich hatte keine Ahnung … Ana hat uns Maya Deren gezeigt und ich wusste nicht, dass Film so experimentell und künstlerisch sein kann. Diese Arbeiten kennenzulernen war eine sehr schöne Erfahrung.

Was mich schon immer an Schulen interessiert hat, ist ihre vieldeutige Rolle als Ort der Wissensvermittlung. Sie sind ein Ort, der Wissen aufzwingt, aber auch ein Ort der Rebellion, des Experiments, der Transformation.

Uli: Ana, war es die erste Lehrtätigkeit für Dich? Und was reizt Dich an dieser Art der Zusammenarbeit?

Ana: Es war nicht das erste Mal, dass ich unterrichtet habe. Aber es war ganz bestimmt das erste Mal, dass ich auf diese Weise unterrichtet habe. Und, wie Vera vorhin sagte, ich bin mir nicht sicher, wer in diesem Fall die Lehrerin war und wer die Schülerin. Das ist es, was mir an dieser Erfahrung wirklich gefallen hat. Es ging weniger ums Lehren und Lernen, sondern vielmehr um einen sehr improvisierten, experimentellen und flüchtigen Austausch von Wissen. Leider sind Schulen sehr auf die Idee ausgerichtet, dass – wie Vera sagte – man Wissen vermittelt bekommt, dass man es erbt und man das Wissen wieder und wieder weitergibt, in einer Art Erbschaftsschlaufe, die die immer gleichen Modelle von Unterdrückung und Bündelung von Macht in den Händen weniger zu reproduzieren scheint. Und meiner Meinung nach kann auf diese Weise keine Gemeinschaft entstehen, anwachsen und sich entwickeln.

Was mich schon immer an Schulen interessiert hat, ist ihre vieldeutige Rolle als Ort der Wissensvermittlung. Sie sind ein Ort, der Wissen aufzwingt, aber auch ein Ort der Rebellion, des Experiments, der Transformation. Der Idee der Schule wohnt etwas inne, das auf wundervolle Weise experimentell sein sollte. Sie sollte ein Ort sein, an dem man nicht genau weiß, wohin die gemeinsame Reise geht, an dem Gruppen, Freundschaften und Gemeinschaften durch den Prozess des Verstehens gebildet und zerschlagen werden können. Man geht nicht alleine in die Schule.

Als ich das erste Mal an die Escola D. Dinis kam, präsentierte ich zunächst die Filme, die ich bereits gemacht hatte, und erläuterte meinen Background. Ich bin ja nicht von hier, also fühlte ich mich auch als Eindringling, als Migrantin. Also habe ich sozusagen angeklopft und gesagt: „Hallo, hier bin ich.“ Darauf aufbauend habe ich in der ersten Stunde, die wir gemeinsam hatten, eine Übung vorgeschlagen, die ich von jemandem gelernt habe, die mir enorm viel über das Leben und die Wahrnehmung beigebracht hat – die wunderbare französisch-amerikanische Künstlerin Myriam Lefkowitz. Ich lernte sie und ihre Praxis als ihre Studentin an der experimentellen Schule für Kunst und Politik (SPEAP) an der Universität SciencesPo in Paris kennen. Ihr Stück „Walk, Hands, Eyes“ hat mich zutiefst beeindruckt. Während eines Spaziergangs führt sie dich durch einen Raum. Dabei hältst du die Augen geschlossen. Sie berührt dich kaum, leitet dich aber, und von Zeit zu Zeit bittet sie dich, deine Augen zu öffnen und wieder zu schließen. Das klingt wie die einfachste Übung, die man sich vorstellen kann, aber ich sie hat mich verändert. Ich hatte das Gefühl, dass das, was ich dort erlebte, nicht nur mit meinem Verständnis von Raum, Zeit und Verkörperung zu tun hatte, sondern auch mit Verwandtschaft, damit, in jemandes Nähe zu sein, dem man vertrauen muss. Am Ende der Übung schaute ich sie an und sagte: Das ist Kino für mich. Denn Kino ist nicht nur das, was man sehen kann, sondern auch das, was man nicht sehen kann, was man nicht sieht.

In der ersten Unterrichtsstunde, die ich mit Veras Gruppe hatte, haben wir genau diese Übung gemacht. Wir waren an diesem Tag 25 Leute, die sich gegenseitig geführt haben. Und das war für mich der Punkt, an dem ich dachte, dass wir zusammenarbeiten könnten. Natürlich haben viele Leute aufgegeben und meinten, „was ist das, das ist sehr seltsam“, doch viele blieben auch. Ausgehend von dieser Erfahrung haben wir begonnen unsere sensorischen und philosophischen Eindrücke dieser simplen Übung miteinander zu teilen. Ich war überrascht von den interessanten Reaktionen, die sie hervorrief: Es ging um Vertrauen, Gemeinschaftsbildung, das Sehen, das Nicht-Sehen, Angst, Zugehörigkeit. So haben wir angefangen. Und ausgehend von jedem Treffen machte ich dann einen Vorschlag für die kommende Sitzung. Jedes Treffen reagierte also auf das vorherige. Es wäre unmöglich gewesen, solch ein Curriculum für das ganze Jahr im Voraus zu planen.

Uli: Auch hier spielt Vertrauen natürlich eine Rolle: Das Programm vertraute Dir, Ana, ohne konkreten Plan mit der Arbeit mit den Schüler*innen zu beginnen. Es war unklar, wohin der Weg führen würde, alles war im Fluss, ihr konntet flexibler reagieren und die Wünsche der Gruppe miteinbeziehen.

Der Film ist auf analogem Filmmaterial gedreht. Ist die Arbeit mit Analogfilm Teil des Lehrplans der Schule oder wird dort nur mit digitalen Medien gearbeitet? Wie war es, auf Film zu drehen?

Vera: Es war echt cool. Mir hat es sehr gefallen. Ich glaube, ich bevorzuge es. Ich hatte wegen Covid zunächst keine Gelegenheit, tatsächlich selbst zu drehen und habe eher geschnitten. Aber als ich dann mit Ana tatsächlich drehen konnte, hat es mir sehr gut gefallen.

Uli: Einige der Bilder, die mir sehr stark in Erinnerung geblieben sind, wurden in der Zeit gedreht, in der ihr nicht beisammen wart, nehme ich an. Es gibt da zum Beispiel eine Nahaufnahme von etwas, das eine LED-Lampe sein könnte, die die Farben wechselt und sehr viele unscharfe Bilder, die wirklich wunderschön sind. Hast Du diese Bilder gemacht, Vera?

Vera: [lacht] Ich habe einfach eine Lampe benutzt. Nur eine Lampe.

Uli: Und diese Bilder sind auf 16-mm gedreht? Oder hast Du sie nachträglich umkopiert?

Ana: Der Film ist auf unterschiedlichen Medien gedreht. Das lag an Covid. Wir hatten einen gemeinsamen Analogfilm-Workshop für März geplant, doch dann kam die Pandemie. Von da an haben wir mit den Apparaten gedreht, die wir zu Hause hatten. Ich sagte: „Egal was – Telefone, kleine Digitalkameras, was immer ihr habt, um Bilder zu machen, macht es damit.“ Und die auf Filmmaterial gedrehten Szenen entstanden, als wir uns endlich wieder treffen konnten.

Uli: Das Schwarz-Weiß-Material.

Ana: Schwarz-Weiß und Farbe. Auf diesen Aufnahmen sieht man, dass niemand in der Schule war. Das ist eine der unheimlichen Qualitäten dieser Bilder. Wir waren zurück in der Schule und filmten, jedoch in einer Zeit, in der es keinen Präsenzunterricht gab. Wir hatten eine Sondergenehmigung, denn ich hatte das Gefühl, dass es wichtig für uns wäre, diesen gemeinsamen Moment zu haben.

Uli: Es ist berührend, wie sehr dieses Projekt, das so stark auf Zusammenarbeit und Gemeinschaft aufgebaut ist, dann so stark nach innen gewandt ist und vom Blick nach innen erzählt. Ihr wurdet voneinander getrennt und wart auf das zurückgeworfen, was in Eurer unmittelbaren Nähe war. Das ist einer der Aspekte, der mich an dem Film so beeindruckt: Die unglaublichen Dinge, die aus einer solch eingeschränkten Situation heraus entstehen können. Wie hat sich Euer Denken über den Film durch die räumliche Trennung verändert? Hat sie das Thema des Innerlichen, des nach innen gewandten stärker gemacht?

Ana: Es ist schade, dass Mário nicht hier ist, denn er sagte etwas sehr Ergreifendes über unsere Zusammenarbeit – ich sagte: „Oh, es war ein Jammer, dass wir ab März nicht mehr zusammen sein konnten“. Und Mário sagte: „Ja, aber glaubst Du nicht, dass uns diese Situation auf gewisse Weise einander näher gebracht hat?“ Ich lasse Vera ein wenig dazu sagen.

Irgendwann haben wir angefangen, auf die Aufnahmen der anderen zu reagieren – eine Person filmte etwas und eine andere reagierte. Alles fügte sich zusammen, obwohl wir nicht beisammen waren.

Vera: Wie ich meinte, der Film wäre ein ganz anderer geworden, hätten wir nicht jede Woche all diese Übungen und Aufnahmen in unseren Wohnungen gemacht. Und die Trennung hat ganz sicher meine Vorstellung davon beeinflusst, wie der Film aussehen könnte. Als wir alle noch in der Schule waren, hatte uns Ana bereits gefragt, wie wir uns den Film vorstellen – und das hat sich dann verändert. Ich glaube, vor März hatten wir noch gar nichts gefilmt. Also mussten wir unsere Ideen überdenken und zu Hause etwas finden, das wir filmen konnten. Es war schwer, etwas zu finden, das Sinn ergab. Irgendwann haben wir angefangen, auf die Aufnahmen der anderen zu reagieren – eine Person filmte etwas und eine andere reagierte. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gefilmt hatte … Federn, glaube ich. Und Ana filmte dann einige indigene Artefakte. Alles fügte sich zusammen, obwohl wir nicht beisammen waren. Und wir hatten nicht darüber gesprochen – wir hatten einfach unabhängig voneinander diese Aufnahmen gemacht. Das war lustig.

Uli: Ihr hattet bereits so viel Zeit miteinander verbracht, dass Ihr anfingt, Eure Sätze gegenseitig zu vollenden.

Ana: Wir beschäftigten uns ein wenig mit der Technik des Cadavre Exquis. In seiner schriftlichen Form – um an Deine Ausgangsfrage nach der Poesie anzuknüpfen – würde ich einen Vers schreiben und ihn an Vera schicken, sie schickt ihren Vers an Paula und Paula wiederum ihren an Dich. Doch man sieht nie das ganze Gedicht, sondern immer nur den letzten Vers, denn das ist die Regel des Cadavre Exquis. Das haben wir einen Monat lang gespielt, doch anstatt mit geschriebenen Versen spielten wir mit Bildern. Das hat großen Spaß gemacht. Es war wunderbar zu sehen, wie jede*r von uns auf das jeweils letzte Bild oder die Idee des letzten Videos reagiert hat. Und seltsamerweise ist der Film dann auch ein Kaleidoskop unterschiedlicher Perspektiven geworden. Denn je mehr wir versuchten, den Film in eine kohärente Form zu bringen, desto klarer wurde, dass das keinen Sinn ergab, denn darum ging es nicht. Deshalb, glaube ich, funktioniert das Gedicht so perfekt. Ich schaute Vera und Mário an und sagte: „Ich glaube dieses Gedicht beschreibt und aktiviert, was wir die ganze Zeit gemacht haben.“ In Wallace Stevens Gedicht werden dreizehn Arten beschrieben, einen Vogel anzuschauen, aber auch dreizehn Arten, auf die der Vogel mit seinem weiteren Umfeld aus Menschen und Orten interagiert.

Vera: Stimmt …

Paula: Eine Sache möchte ich noch erwähnen, die ich wichtig finde und die für mich ein zentraler Punkt ist: Die Pandemie wurde am 11. März 2020 ausgerufen. Wir arbeiteten von September bis Dezember 2019, dann machten wir während der Weihnachtsferien eine Pause, dann musste Ana verreisen und war Ende Januar 2020 zurück. Und am 11. März erreichte uns die Nachricht, dass sich alles verändert hatte. Für den 11. war ein Treffen angesetzt, an dem ich nicht teilnahm. Aber Ana war da und die Schüler*innen und uns wurde klar: O.k., das hier ist vorbei. Und eine Woche später, am 18., war Ana schon auf Skype mit Vera und Mário. Es gab keine echte Unterbrechung. Die physische Nähe war unterbrochen, klar, aber es ging unmittelbar weiter. Darüber denke ich sehr oft nach: Wäre der Kurs von einer anderen Person, einer anderen Künstler*in, geleitet worden, die nicht so schnell gehandelt hätte, hätten wir alles verloren.

Ana: Dem würde ich gerne noch etwas hinzufügen, denn was Paula erwähnt, ist sehr wichtig für das Projekt, und das haben wir einige Male mit Mário und Vera besprochen: Wir hätten an diesem Punkt unsere Arbeit abbrechen können. Doch es war genau der Moment, an dem wir endlich eine Gemeinschaft geworden waren – das ist immer ein sehr fragiler Zustand. Und ich machte mir Sorgen über die Isolation und fragte mich, wie ich über die Zukunft nachdenken könne. Und dann spürte ich plötzlich, dass wir zusammen sein mussten. Wenn diese Pandemie uns vollständig voneinander isoliert, dann brauchen wir irgendeine Art von Link, der uns ermöglicht, diese Situation gemeinsam zu durchdenken. Denn auch ich, auf mich allein gestellt, konnte das nicht. Als wir uns also am 18. trafen – ich weiß nicht, ob Vera sich erinnert – schauten wir uns an und sagten: „O.k., was machen wir?“ Wir wollen keinen Covid-Film machen. Aber was können wir hieraus generieren?

Vera: Ich erinnere mich nicht wirklich. Aber ja, einige hörten an diesem Punkt auf. Nur noch meinen Freund und mich zu sehen – am Anfang waren wir so viele … ich weiß nicht … vielleicht wäre der Film ganz anders geworden, wenn wir eine große Gruppe gewesen wären. Ich denke – um es positiv zu sehen –, dass der Film auf diese Weise sehr viel persönlicher geworden ist.

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