Direkt zum Seiteninhalt springen

(1) Nach einem Gespräch zwischen Emily Wardill und Myles Frances Browne in: Umbigo Magazine, #72, S. 63.

(2) Flora Lewis, „Portugal’s Most Militant Leftist Party, Led by a Woman, Seeks Victory With Violence“, The New York Times, 14. Oktober 1975, S. 12.

(3) Andrea Dworkin, „The Promise of the Ultra-Right“ in: Johanna Fateman und Amy Scholder (Hg.), Last Days at Hot Slit: The Radical Feminism of Andrea Dworkin, Cambridge, MA 2019, S. 195.

Emily Wardills Forschung zur politischen Rhetorik fußte auch auf Herbert Marcuses Mahnung zu einer „neuen Sensibilität“ – einer, die in Form von linguistischer Therapie dazu beitrüge, uns der politischen Linguistik gewahr zu werden, die dem Establishment als Panzer dient. Marcuse erkannte, dass der Konzernkapitalismus und die konservative politische Sphäre, die dessen Werte und Funktionen aufrechterhält, der systematischen Manipulation von Sprache bedürfen. Er sah voraus, dass die Rechte sich subversive Sprache effektiv aneignen würde, um so Sympathie vorzutäuschen, Widerstand aufzulösen und den Status Quo aufrechtzuerhalten.

Zwar mag Wardill nicht vom selben Marcuse’schen Traubensaft genascht haben wie ich, doch hat sie sich mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass sie sich als Künstlerin selbst dazu ermächtigt „über Dinge wie Bewegtbild und Narration sozial, kritisch, politisch, philosophisch und historisch nachzudenken und vom Pfad der Unausweichlichkeit auszuscheren. Nehmen wir die Entwicklung des Internets als Beispiel: Am Anfang stand der Wunsch nach der Demokratisierung von Information und man wollte etablierte Machtsysteme umgehen. Mit der Zeit wurden diese Ideale zu Mythologien, die benutzt wurden, um eine Technologie zu verkaufen, die unsere Daten sammelt und uns von Bildschirmen abhängig macht. Es gibt hier einige Parallelen zum industriellen Kino und sich dieses aus einer anderen Perspektive anzuschauen ist ein Weg, ein mächtiges Werkzeug für Menschen, die lebendig sind, wieder nutzbar zu machen.“(1) […]

Nach einigen Jahren nahm Emily den Kontakt zu mir wieder auf und beschrieb ihr neustes Projekt – einen Film, der um Interviews mit Isabel do Carmo kreist, die Mitte der 1970er-Jahre im Alter von 35 Jahren zu einer der militantesten und extremsten Linken in Portugal geworden war. Als Mitglied der Revolutionären Brigaden bekämpfte sie den Estado Novo, das faschistische Regime, das António de Oliveira Salazar aufgebaut hatte. In einem Interview mit der New York Times aus ihrer aktivistischen Zeit distanzierte sich do Carmo von vorherigen revolutionären Modellen, die von männlichen, innerhalb der Begriffe von Marxismus und Kommunismus arbeitenden Vorgängern vorgeschlagen worden waren. Stattdessen behauptete sie: „Um ein/e echte Revolutionär*in zu sein, musst du immer neue Theorien und Techniken entwickeln, die der Realität entsprechen, die du vorfindest.“(2) Isabel do Carmo, heute 79 Jahre alt, ist keine Hexe, sondern eher eine Endokrinologin. Sie war einst ausgezogen, um zurückzufordern, was entführt worden war, wie Isabelle Stengers schreibt, und, um Wandel zu erzwingen. Do Carmo nahm zwar keinen Zauber zu Hilfe und doch schuf sie einen neuen Vorstellungsraum für transformatives Handeln, was am Ende auf das Gleiche hinauslaufen könnte. Die fortwährende Verhöhnung weiblichen Lebens verweist uns oft in die Rollen der Hexen, Schlampen und Huren. Es wird impliziert, dass wir nur transaktionelle Rollen ausfüllen könnten, im Gegensatz zu transformationellen. Wir stecken zwischen der künstlerischen und der politischen Dimension fest und halten notwendigerweise nach Möglichkeiten voneinander zu lernen Ausschau, auf dass unsere Arbeit einen politischen Wandel hervorrufen möge. Gleichzeitig werden unsere Handlungen als hinterhältig charakterisiert und unsere Schaffensfähigkeit wird dem Übernatürlichen zugeschlagen.

„Dies ist der gemeinsame Kampf aller Frauen, gleich ihrer von Männern definierten ideologischen Abstammung. Und dieser Kampf allein hat die Kraft, Frauen von Feindinnen, die gegeneinander kämpfen, zu Verbündeten zu machen, die sich für ein Überleben der Einzelnen und der Gemeinschaft einsetzen, das nicht auf Selbsthass, Angst und Demütigung basiert, sondern stattdessen auf Selbstbestimmung, Würde und authentischer Integrität.“(3) – Andrea Dworkin

Marta Kuzma

Auszug aus: Marta Kuzma, „Die Schandmaske: Einige Gedanken zu politischer Linguistik, der Neigung zur Verschwörung und zu Hexen“, in: Emily Wardill, Night for Day, Berlin 2020.

Zurück zum Film

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur