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(1) Hollis Frampton, „A Lecture“ (1968), in: dies., Circles of Confusion: Film, Photography, Video: Texts 1968–1980,Rochester 1983, S. 193–194.

(2) Ebd., S. 194.

(3) Interview mit Minjung Kim, 7. Oktober 2020, 19–22 Uhr.

(4) Frampton, S. 195.

(5) Interview mit Minjung Kim.

(6) Frampton, S. 193.

(7) Frampton, S. 193–194.

Eine Leinwand flackert rot, während das Geräusch eines laufenden Projektors zu hören ist. Das Flackern wird weiß, als erst ein grünes, dann ein blaues Rechteck über das rote projiziert wird – der RGB-Farbfolge folgend. Nach einem plötzlichen Szenewechsel ist eine Landschaft zu sehen – blaues Meer und Himmel scheinen durch einen rechteckigen Höhleneingang herein. Das weiße Rechteck, in dem sich Licht sammelt, hat sich schlicht in ein anderes Rechteck verwandelt. Und doch bleibt es eine Leinwand.

Minjung Kims jüngste Arbeit „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ (2020) beginnt mit einer empirischen Wahrheit, die vielleicht allen bekannt ist. Während eines Aufenthalts in einer Künstler*innenresidenz auf der Insel Jeju besuchte die Künstlerin verschiedene an der Küste gelegene Höhlen und Bunker, die in der Zeit der japanischen Besatzung angelegt wurden. Während sie durch künstlich hergestellte rechteckige Rahmen der Hangars, Schießscharten und Ausgucke auf die Landschaft schaute, kam ihr der Gedanke, dass sie in dieser Perspektive wie eine Leinwand wirkte, auf die ein Film projiziert wird. Beiden gemein ist, theoretisch gesehen, dass Licht durch einen rechteckigen Rahmen in der Dunkelheit zu sehen ist. Der Film zeigt eine Abfolge rechteckiger Öffnungen in den militärischen Befestigungsanlagen, die unterschiedlich groß sind und deren Seitenverhältnisse variieren. So visualisiert die Arbeit ein weißes Rechteck aus Licht – die grundlegende Voraussetzung für durch Licht erzeugte Illusionen. Der Text, der die Bilder begleitet, ist dem Performance-Manuskript von Hollis Framptons A Lecture (1968) entnommen.

„Es ist nur ein Rechteck aus weißem Licht. Und doch umfasst es alle Filme“

„Wir alle waren schon einmal hier. […] Wir sind hier, um dies anzusehen. […] Das Rechteck war hier, bevor wir kamen und es wird noch hier sein, nachdem wir fortgegangen sind.“(1) Interessanterweise funktioniert diese Textstelle, die Teil einer Reflexion der grundlegenden Elemente des Mediums Film ist – wie etwa Dunkelheit und Leinwand, Licht und der Filmstreifen – auch als Beschreibung des Kontextes, in dem sie hier genutzt wird: der Narben, die die Geschichte hinterlässt. Einerseits sind wir versammelt, um in der Dunkelheit ein quadratisches Rechteck anzuschauen, das Licht bündelt. Und der Film hat vor uns existiert und wird nach uns existieren. Andererseits zeigt uns der Film die Spuren der japanischen Kolonialherrschaft über Jeju Island und den Schauplatz eines Bruderkrieges. Dies ist das Bild, das vom Licht gezeigt wird. Auch diese Orte existieren unabhängig von uns, waren vor uns da und werden uns überdauern. Angesichts der Tatsache, das Minjung Kim in ihren bisherigen Arbeiten den Grundsätzen des Strukturellen Films immer treu geblieben ist – etwa in ihrer Beschäftigung mit der räumlichen Tiefe oder der Materialität des Filmstreifens – erscheint die Betonung von „Inhalt“ in „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ als signifikanter Wendepunkt oder als Beginn einer Erweiterung ihrer künstlerischen Praxis. Der strukturelle Rahmen, für den sie sich zuvor interessierte, untermauert den gesamten Film und bildet dessen Stimme und Form. Der Ort, der im Bild zu sehen ist und für den der Film ein Gespür vermittelt, fließt in die Struktur ein, sodass Form und Inhalt eine natürliche Verbindung eingehen.

Dieser erhöhte Grad an soziokulturellem Kontext mag eine scheinbare Neuerung in „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ sein, doch die Struktur des Films ist vollkommen: Alle Elemente sind genau dort, wo sie sein sollen; strukturell gibt es nichts, was hinzugefügt oder entfernt werden könnte. Und diese einzigartige Präzision, in der sich Form und Inhalt auf intimste Weise entsprechen, ist ein zentraler Aspekt in Minjung Kims Arbeit. (100FT) (2017) etwa, setzt die Maßeinheit Fuß, die auf die Länge des Fußes eines erwachsenen Mannes zurückgeht, mit der physischen Länge eines 16-mm-Filmstreifens, der in 100-Fuß-Rollen ausgeliefert wird, in Bezug. Die Präzision der Künstlerin findet hier darin Ausdruck, dass sie einen Schritt als 40 Einzelbilder (1 Fuß) und die Gesamtlänge des Films als 4000 Einzelbilder (100 Fuß) definiert, auch wenn die Zuschauer*innen diesen Aspekt selbst gar nicht wahrnehmen können. Dieses fast schon zwanghafte Beharren auf Exaktheit mag ein Ausdruck des Hangs der Künstlerin zu struktureller Genauigkeit sein. In dieser Hinsicht ist „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ keine Ausnahme. Der Film erschließt sich nicht beim ersten Sehen. Vielmehr entsteht eine Analyse erst rückblickend, wenn sich über die Zeit die verschiedenen Ebenen des Films übereinanderlegen. Die erste Hälfte des Films besteht aus einer exemplarischen Aufführung von Hollis Framptons A Lecture. Framptons Performance, in der das weiße Rechteck beschrieben wird, Anweisungen zum Anschalten des Projektors und zum Ausschalten des Lichts im Saal gegeben werden, spiegelt sich in der Zeitstruktur von „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“.Der eigentliche Beginn des Films ist der Moment, in dem der Projektor läuft, die Farbflächen sich überlappen und ein weißes Rechteck erscheint. Die Reihenfolge der eingeblendeten Textauszüge korrespondiert mit dem Manuskript von A Lecture. Die Bildebene wiederum unterstützt den Vortrag visuell und bebildert die Erzählung. Wenn in der Performance gesagt wird, „Es ist nur ein Rechteck aus weißem Licht. Und doch umfasst es alle Filme“(2), verändert die Leinwand ihre Intensität. Verschiedene grell-flackernde rechteckige Rahmen erscheinen. Kurz danach, in der Szene von A Lecture, die davon handelt, dass ein roter Filter vor die Linse des Projektors gehalten wird, wird auch die Leinwand rot. Im weiteren Verlauf erzeugen rote, grüne und blaue Projektionsschichten einen weißen Kader.

Die Elemente des Filmmediums – die Leinwand, das Licht, der Rotfilter und der dunkle Raum – verbinden sich vollständig mit einem Loch, das als Narbe erscheint, als ein Rest, Blut und Anti-Kommunismus, die Geschichte einer Tragödie, die tief in Jeju eingeschrieben ist.

Die erste Abweichung von der Reihenfolge von A Lecture markiert einen Bruch mit der strukturellen Einheit des Films und Framptons Performance. Der Film wiederholt den vorhergegangenen Inhalt und schiebt den Rotfilter in dem Moment vor die Linse, in dem der Text verlangt, den Filter zu entfernen. Diese Abweichung dient als Emphase. Der Satz „Wir alle sind bereits hier gewesen“ erscheint erneut und der Film wendet sich von der strukturellen Frage ab und hin zu einer historischen Frage und zum Thema der Erinnerung. Wenn das bereits genannte „Wir“ die aktuellen Zuschauer*innen des Films bezeichnet, dann steht das neue „Wir“ für all jene, die verschwunden sind und nur als Geisterhauch an den geschichtsträchtigen Drehorten von „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ zurückbleiben.(3) Der Film vollzieht einen Tempuswechsel von der Gegenwart in die Vergangenheit und verbindet die strukturelle Untersuchung des Mediums mit dokumentarischen Aufnahmen, mit denen Überlegungen zum thematischen Kontext einhergehen. Von diesem Punkt an schaut die Kamera nicht mehr von innen nach außen, sondern von außen auf den Eingang einer Höhle oder eines Belüftungsschachts. Anstatt in einen Raum einzudringen, den man nicht ohne weiteres wagen würde zu betreten, entschließt sich die Künstlerin, die Narben als Außenseiterin still zu beobachten. Nachdem sie über die Darangshi-Höhle, die Keunneolgwe-Höhle, die Lavaröhre Billemotdonggul in Eoeum-ri und den Sagye-Friedhof, auf dem die Baekjoilsonmyoyeuk, die unbekannten Toten, begraben liegen, hinweggeschwenkt ist, betrachtet die Kamera den Ort der Tragödie gefasst aus der Ferne. Im Gegensatz zu zuvor folgt das Bild hier nicht den Vorgaben von A Lecture, sondern übernimmt die Führung – die Rollen werden getauscht. Die Zeile „Wir können eine Hand vor die Linse halten. […] Sagen wir, dass wir die allgemeine Information modulieren wollen, mit der der Projektor unsere Leinwand bombardiert“(4), die in der Szene erscheint, die den Friedhof zeigt, auf dem 132 Körper in einem Massengrab liegen, weil es nicht möglich war, ihre Knochen zu identifizieren und zuzuordnen, scheint das Dilemma zu beschreiben, mit dem sich die Filmemacherin angesichts eines Themas konfrontiert sieht, das zu viele Geschichten umfasst, die nicht erzählt werden können. Gedanken wie „Vielleicht wäre es besser, nichts zu sagen“ und „Gibt es hier nicht schon viel zu viel Informationen“ werden vom Frampton-Zitat „Eine Hand blockiert alles Licht, das auf die Leinwand fällt“(5) aufgegriffen. Schwarzblende. Es folgt die Aufnahme eines Wiesen-Fuchsschwanzes, der im Wind weht, dann der Text „unser weißes Rechteck ist nicht nichts.“ Diese Grashalme auf einer Wiese stehen für die zahllosen Seelen, die namenlos gestorben sind, und die nicht „nichts“ sind. Die Elemente des Filmmediums – die Leinwand, das Licht, der Rotfilter und der dunkle Raum – verbinden sich vollständig mit einem Loch, das als Narbe erscheint, als ein Rest, Blut und Anti-Kommunismus, die Geschichte einer Tragödie, die tief in Jeju eingeschrieben ist.

Diese dramatische Häufung wird durch das Ende des Films symbolisch bebildert. Die Künstlerin schließt den Bogen zurück zu Framptons Performance. Wir sehen den Himmel, das hellste Bild des Films und lesen den Text „Wenn wir schon von Filmen sprechen, können wir das genauso gut im Dunkeln tun“.(6) Auf die Ansage „Bitte schalten Sie das Licht aus. […] Der Projektor wird eingeschaltet“(7) hin wird die Leinwand schwarz und der Film endet. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dies die ersten Worte in Framptons Vortrag sind und dass Dunkelheit die Voraussetzung für den Start der Filmvorführung ist, einem Ereignis, dass einer Illusion und einem Traum gleichkommt, dann verweist dieser Satz auf einen anderen Film, der von denen, die zurückbleiben gestartet wird und auf die noch nicht erzählten Geschichten, die nach dem Film weitergehen. Anders gesagt: Genau wie bei einem Film, der in einer Galerie als Endlosschleife abläuft, ist das Ende des Films der Anfang des Films und die Worte, die zurückbleiben, leben weiter. Was als struktureller Film beginnt, erweitert sich zu einem Nachdenken über Metageschichte und eine Rückkehr zur Geschichte – der Inhalt wird Teil der Struktur und ebenso wichtig wie die Form.

Die verstärke Hinwendung zu einer Körperlichkeit als „l’être-au-monde“ (in-der-Welt-sein) ist ein auffälliger Trend in Minjung Kims jüngsten Arbeiten.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Körper der Künstlerin: Er erspürt die Stimmungen und Gefühle der Drehorte und fixiert sie auf dem Film. Als erster Zuschauer und Auge der Kamera, fühlt der Künstlerinnenkörper, der die Landschaft Jejus aus der befestigten Höhle heraus betrachtet, für uns die Erinnerungen und Energien, die dieser Ort speichert. Er ist ein Medium, das den Filmapparat und die Ortsspezifik des Themas miteinander in Verbindung bringt. Durch diesen Körper treffen sich Vergangenheit und Zukunft, Leinwand und Jeju Island, Publikum und Thema. Die verstärke Hinwendung zu einer Körperlichkeit als „l’être-au-monde“ (in-der-Welt-sein) ist ein auffälliger Trend in Minjung Kims jüngsten Arbeiten. In der bereits 2019 präsentierten Installations-Version von „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“, musste das Publikum zunächst einen im Eingang zum Ausstellungsraum platzierten Rotfilter passieren, um den Film in intakter Farbigkeit sehen zu können. Dem Film wurde so ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Der Körper des Publikums, der in den Ausstellungsraum eindringt. So betrachtet ist auch Minjung Kims kürzlich fertiggestellte Arbeit MY WARMEST REGARDS, MINJUNG KIM (2020) als Vignette zu verstehen, die sich mit Erinnerung und Gefühl auseinandersetzt und ähnlich wie „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ ein Verschmelzen von Körper und Filmmedium erreicht. Der Film basiert auf einer einzigen langen Einstellung, die einen Güterzug auf dem berühmten Tehachapi Loop zeigt, einer spiralförmigen Biegung des Schienennetzes, auf der Züge ausreichender Länge über sich selbst hinwegfahren. Er artikuliert den Wunsch, alle mögen gesund bleiben und die Sorge um Freunde in der andauernden COVID-19-Pandemie. Die Dialogzeile „It’s gone. Sad.“ wird von Minjung Kims Mentor James Benning gesprochen, während er bei den Filmaufnahmen dem aus dem Bildkader verschwindenden Zug zuschaut. Diese Zeile bekam die Künstlerin nicht aus dem Kopf und so bearbeitete sie den Clip, sodass der Zug sich kontinuierlich dehnt und so den Wunsch im Film Wirklichkeit werden lässt. Wie der stetig wehende, unsichtbare Wind in „THE RED FILTER IS WITHDRAWN.“ materialisieren sich die Erinnerungen des Lehrers in MY WARMEST REGARDS, MINJUNG KIM durch filmische Strategien wie Doppelbelichtung, Loops und der Angleichung von Anfang und Ende des Films. Ist was wir sehen ein Zug, eine Sehnsucht, ein Licht, all das oder gar nichts?

Hye Jin Mun ist Kunstkritikerin und Wissenschaftlerin für Kunstgeschichte und Visuelle Kultur. Der Fokus ihrer Interessen umfasst technologische Medien, koreanische zeitgenössische Kunst und Visualität.

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