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Die prekären Bedingungen unter denen die Schwefelstecher am javanischen Vulkan Ijen arbeiten, werden immer wieder in der internationalen Presse thematisiert. Der spanische Regisseur Alvaro Gurrea setzt diesen einseitigen Darstellungen von Elend und Armut der Arbeiter seinen Film MBAH JHIWO (MBAH JHIVO – ANCIENT SOUL) entgegen, in dem er den lokalen Akteur*innen eine Plattform zu Selbstdarstellung gibt. In einem Zeitraum von fünf Jahren war Gurrea im Gespräch mit seinen Laiendarsteller*innen und entwickelte daraus ein Drehbuch.

Vor dem Hintergrund der schweren körperlichen und gesundheitsgefährdenden Arbeit des Schwefelabbaus greift der Film zwei schwere Schicksalsschläge im Leben der Hauptfigur Yono auf: Er wird von seiner Frau Olive verlassen, die er unbedingt zurückwünscht, und seine Mutter erkrankt plötzlich schwer. Diese Schicksalsschläge setzt MBAH JHIWO in drei sich vom Plot her wiederholenden, aber in unterschiedlichen Kontexten spielenden Erzählungen in Szene: im Licht eines traditionellen Animismus, vor dem Hintergrund des erstarkenden Islams in Indonesien und im Kontext der lokalen Ausformungen des globalen Techno-Kapitalismus. Die indonesische Insel Java ist bekannt für ihre kulturelle Vielfalt und das Nebeneinander von verschiedenen Religionen. Java war in seiner Geschichte einer Vielzahl unterschiedlicher Einflüsse ausgesetzt: den religiösen und kulturellen Einflüssen aus Indien, der zunehmenden Islamisierung, der „Verwestlichung“ sowie den jüngeren Prozessen der Re-Javanisierung und damit verbundenen Rückbesinnungen auf die „alten Traditionen“. Praktisch bedeutet dies, dass auf Java nicht nur verschiedene kulturelle Einflüsse parallel und in getrennten Sphären existieren, sondern diese Ebenen unmittelbar und eng miteinander interagieren.

Animistische Traditionen auf Java

Im der ersten Erzählung von MBAH JHIWO liegt der Schwerpunkt auf den animistischen Traditionen und damit verbundenen Riten auf Java. Daher entschließt sich Yono nach dem Weggang seiner Frau dazu, einen traditionellen Schamanen aufzusuchen. Dieser Dukun, wie die magischen Heiler lokal genannt werden, bedient sich exorzistischer Praktiken, um Yonos Frau Olive dazu zu bewegen, wieder zu ihrem Ehemann zurückzukehren.

Sowohl im ländlichen als auch urbanen Java sind Schamanen seit jeher fester Bestandteil der Kultur und erfreuen sich wieder zunehmender Beliebtheit. Allgegenwärtig in Medien und persönlichen Unterhaltungen sind die teilweise fantastischen Erzählungen über die herausragenden metaphysischen und spirituellen Fähigkeiten von Heiler*innen und Schaman*innen. Dieses gesamtgesellschaftliche Phänomen drückt sich auch in der Selbstverständlichkeit aus, mit der indonesische Staatspräsident*innen ihre Schamanen als stetige Berater*innen auf der politischen Bühne um sich scharen. Schaman*innen beraten aber auch im Alltag, sind Beschützer*innen vor Flüchen und Unheil sowie Heiler*innen für alle physischen und psychischen Leiden.

Auch in MBAH JHIWO führen sie magische Praktiken auf, um von Ferne auf Yonos Ehefrau Olive einzuwirken, setzen aber auch rituelle Massagen, Gesänge und Tänze sowie Kräutermedizin zur Heilung der schwerkranken Mutter ein. In traditionell mystischen Riten (kebatinan) werden die Kräfte von Göttern oder Ahnen angerufen, um Heilungsprozesse zu unterstützen. Die hierbei hervorgerufenen Heilkräfte werden regelmäßig in der Beschwörung von Wasser manifestiert, um damit dann den kranken Körper und/oder Geist zu reinigen (membersihkan).

Indonesien: die größte muslimische Nation

Die zweite Erzählung zeigt Yonos Hinwendung zum Islam, nachdem ihn seine Frau verlassen hat. Die Mehrheit der Bevölkerung Indonesiens bekennt sich zu dieser Glaubensrichtung, damit ist Indonesien die größte muslimische Nation. Das Land gilt als Vorzeigemodell für einen toleranten und moderaten Islam. Jedoch wird die Religion zunehmend politisiert und dies führt vermehrt zu religiösen Konflikten in Form von Ausgrenzung und Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wie etwa in Aceh, auf den Molukken, in Kalimantan und in Poso auf Sulawesi. Die Regierung unter dem seit 2014 amtierenden Präsidenten Joko Widodo hat es versäumt, sich von radikalen Gruppierungen zu distanzieren. Auch deshalb ist die Gesellschaft zunehmend polarisiert. Nichtsdestotrotz lehnt weiterhin die Mehrzahl der indonesischen Muslime religiös motivierte Gewalttaten ab.

Der Islam bildet vielmehr den Rahmen für Alltagshandlungen, und die Suren des Koran werden als Ratgeber für schwierige Lebenslagen genutzt, wie dies in MBAH JHIWO anhand der Trennung von Olive und der Erkrankung der Mutter verdeutlicht wird. Im Film sucht Yono nach dem Weggang seiner Frau den Rat eines Imams, der ihm zu Gebeten und einer Pilgerreise nach Mekka rät. Er bietet Yono ein Komplettpaket an, in dem die Reise nach Mekka ungefähr 26 Mio. indonesischer Rupiah (etwa 1500 Euro) kosten soll. Diese Summe kann Yono mit einem Tageslohn von circa 3,70 Euro nicht aufbringen. Auf Nachfrage rät der Imam ihm, aufrichtig zu Gott zu beten, dann werde ihm geholfen, diese große Summe aufzubringen.

Die Verlockungen des Techno–Kapitalismus

Indonesien ist ein reiches Land, verfügt es doch über zahlreiche Bodenschätze. Jedoch ist der Reichtum sehr ungleich verteilt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt nur von ein paar Euro am Tag. Am anderen Ende der Gesellschaft hat sich ein geradezu obszöner Reichtum entwickelt, der von der Elite des Landes ausdrücklich zur Schau gestellt wird. Viele fühlen sich von diesem unerreichbaren Reichtum angezogen.

Etwa die Hälfte der 270 Millionen Einwohner Indonesiens ist im informellen Sektor beschäftigt und verfügt entsprechend über geringe bis keinerlei offizielle Sozialversicherungen. Zwar steckt die Regierung in den letzten Jahren viele Ressourcen in den Ausbau der allgemeinen Krankenversicherung, gleichzeitig mangelt es dem indonesischen Gesundheitssystem nicht nur an medizinischen Geräten, sondern insbesondere an gut ausgebildeten Ärzt*innen und medizinischem Pflegepersonal. Im Film wird deutlich, dass Yono die Versorgung seiner diabeteskranken Mutter an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten bringt.

In der filmischen Darstellung werden die drei großen Einflüsse, die auf die Menschen in Indonesien wirken, getrennt; im realen Alltag sind sie dagegen eng miteinander verwoben.

MBAH JHIWO streift auch das Thema Kryptowährungen: In Indonesien sind diese digitalen Zahlungsmittel beliebt wie in wenigen anderen Ländern. Statistiken spekulieren, dass rund elf Prozent der Bevölkerung Kryptowährungen besitzt, wobei diese Zahlen zu hoch gegriffen wirken. Unumstritten ist jedoch, dass mobiles Bezahlen in Indonesien längst zum Alltag gehört und insbesondere von technikaffinen jungen Menschen genutzt wird. Durch den Ankauf von Kryptowährungen versuchen sie die Währungsinstabilitäten der Indonesischen Rupiah zu überbrücken. Vermittler*innen bieten gegen Provisionen erste Einblicke in die Funktion und Handelsmöglichkeiten mit Kryptowährungen und versprechen dabei die Möglichkeiten des schnellen Geldes im virtuellen Raum. Im Film wird Yono von seinen Freunden und einem Vermittler dazu animiert, sein Geld in Kryptowährungen anzulegen, um als reicher Mann dann seine Frau Olive zurückzubekommen.

In dieser dritten Episode werden die potentiellen Errungenschaften der Moderne in Yonos Leben in Szene gesetzt: das teure Motorrad, die moderne Unterhaltungselektronik bis hin zur (wahrscheinlich falschen) Prada-Decke. Demgegenüber steht Yonos harter, archaischer Arbeitsalltag, in dem er zwölf Stunden am Tag mit einer Eisenstange Schwefelsteine aus dem Vulkankrater bricht, um dann 90 Kilo schwere Bambuskörbe die steilen Wege aus der Mine herauszutragen. Für das geringe Gehalt atmet Yono täglich das hochgiftige Schwefeldioxid ein und zerstört damit seine Bronchien und Lungen. Die Hoffnung auf das schnelle Geld ist in diesem Kontext nur allzu nachvollziehbar.

Einheit der Vielfalt

In der filmischen Darstellung werden die drei großen Einflüsse, die auf die Menschen in Indonesien wirken, getrennt; im realen Alltag sind sie dagegen eng miteinander verwoben. Praktisch bedeutet dies, dass Menschen auf der Suche nach Heilung moderne Schulmedizin sowohl mit animistischen als auch religiösen Elementen verbinden. So kommen alltäglich Schaman*innen in die städtischen Krankenhäuser, um für ihre Patient*innen Rituale und Heilbehandlungen auszuführen. Und auch in islamischen Kontexten werden animistische Riten eingebunden und selbstverständlich greifen auch hier die techno-kapitalistischen Verwertungszwänge.

Das heutige Leben der Javaner*innen wird also geprägt durch die traditionellen animistischen Wurzeln, Einflüsse des Islams als auch durch den modernen Techno-Kapitalismus. Daneben gibt es zahlreiche weitere globale und lokale Einflüsse, die prägend auf das Handeln und Denken der Menschen wirken. Die Vielfalt der Wertediskussionen und damit verbundenen Praktiken sind ein wichtiges Charakteristikum Indonesiens. Dementsprechend ist der Alltag im größten Inselstaat der Welt immer vielschichtiger und dynamischer als jede einzelne Norm.

Kristina Großmann ist Professorin für Ethnologie Südostasiens an der Universität Bonn

Nicole Weydmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn

Weiterführende Literatur:

Nicole Weydmann: Healing is not just dealing with your body – A Reflexive Grounded Theory Study Exploring Women’s Concepts and Approaches Underlying the Use of Traditional and Complementary Medicine in Indonesia, Berlin, regiospectra Verlag, 2019.

Gunnar Stange, Rolf Jordan, Kristina Großmann: Handbuch Indonesien, Angermünde, 2015.

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