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Can Sungu: Wie hat Ihre Beziehung zum Kino begonnen?

Korhan Yurtsever: Ich glaube, meine Einführung in das Kino begann, als mein Vater mich an die Hand nahm und mich in das Studio eines Verwandten von uns, Onkel Sabahattin, mitnahm. Dies geschah in der Regel, um ein sehr ungezogenes Kind zur Ruhe zu bringen. Wenn ich dorthin ging, sagte Onkel Sabahattin: „Ich gebe dir einen Film“ und reichte mir in kleine Stücke geschnittene Filme. Mit meinen Freunden haben wir diese Filme hinter ein Glas gelegt und mit einer Taschenlampe betrachtet.

Ich erinnere mich, dass ich mit 16 oder 17 Jahren Regisseur werden wollte. Ich habe mit meinem Vater gesprochen. Er sagte: „Okay, ich werde dich nicht davon abhalten, Filmemacher zu werden, aber du musst wissen, dass du in deinem Leben nie ganz glücklich sein wirst. Du wirst einen Film drehen. Man wird ihn loben, man wird ihn mögen, du wirst wollen, dass der nächste besser wird. Manchmal wird das nicht gelingen, und wenn es nicht gelingt, wirst du sehr traurig sein. Wenn die, die den Film nicht mögen, stärker sind, werden sie dich zerdrücken. Deshalb möchte ich nicht, dass du ein Filmemacher wirst, vor allem kein Regisseur.“ Als ich darauf bestand, Regie zu führen, nahm er mich am Arm und brachte mich wieder zum Filmlabor meines Onkels. Drei Monate lang habe ich da nur Chemikalien gemischt. Dann habe ich angefangen, in der Dunkelkammer Filme zu entwickeln. Danach bin ich zum Schnitt und zur Synchronisation übergegangen. Beim Schnitt traf ich einen Produzenten, der sagte: „Du hast genug über diesen Beruf gelernt. Komm morgen in unser Büro und fang als Assistent an.“ Also begann ich als Regieassistent zu arbeiten.

Ich habe bei etwa 50 Filmen als Assistent gearbeitet. Tagsüber war ich am Set, und abends ging ich ins Studio, um das, was am Vortag gedreht worden war, zu schneiden und für den Regisseur vorzubereiten. So habe ich mit berühmten Regisseuren wie Metin Erksan, Halit Refiğ und Atıf Yılmaz gearbeitet. Dann begann der Erotikfilm-Wahnsinn. Sie begannen, Szenen mit erotischem Inhalt zu drehen, die nicht im Drehbuch standen, und fügten sie den Filmen hinzu. Man war der Meinung, dass es keine andere Möglichkeit gab, Geld zu verdienen. Damals beschloss ich, das Filmgeschäft aufzugeben.

Sie sagten mir: „Lass dich nicht auf dieses Geschäft ein. Während alle anderen in dieser Zeit Sexfilme machen, wirst du einen Dorffilm machen und in Konkurs gehen.“

 

Wie war es für Sie möglich, wieder anzufangen und Ihren ersten Film FIRAT’IN CINLERI zu drehen?

KY: Ich hatte eine Zeit lang eine Boutique, in der ich Frauenkleidung verkaufte. Damals lud mich der Drehbuchautor İhsan Yüce zu seinem Set ein und legte ein von ihm verfasstes Drehbuch auf den Tisch: FIRAT’IN CINLERI. „Lies das und dann lass uns reden. Du sollst Regie führen“, sagte er. Das Drehbuch habe ich sofort gelesen und geliebt. Also verkaufte ich die Boutique. Den Rest haben wir uns geliehen.

 

Also ganz anders als das übliche System in der Türkei, ein Film, der von Ihnen selbst und nicht vom Verleiher finanziert wurde?

KY: Sie sagten mir: „Lass dich nicht auf dieses Geschäft ein. Während alle anderen in dieser Zeit Sexfilme machen, wirst du einen Dorffilm machen und in Konkurs gehen.“ Wir haben den Film mit einem kleinen Team in Siverek im Südosten der Türkei mit einem sehr begrenzten Budget gedreht. Am Ende des Drehs hatten wir fast kein Geld mehr, um nach Istanbul zurückzukehren. In Istanbul rief mich ein Filmunternehmer zu sich. Er sagte, er habe genug von Sexfilmen und wolle lieber meinen Film vermarkten. Ich hatte den Film noch nicht einmal geschnitten. Er legte einen Scheck auf den Tisch und meinte, dass er mir auch einen Anteil der Einnahmen geben würde. Der Film war ein unglaublicher Erfolg in der Südosttürkei und hat beim Filmfestival in Antalya drei Preise gewonnen. Er hat auch einen Jurypreis in San Remo bekommen, obwohl er eigentlich noch keine Ausreisegenehmigung für ausländische Festivalteilnahmen hatte. Er lief auch auf dem Filmfestival in Tashkent Film Festival und wurde in drei Kinos in Moskau gezeigt. Er wurde in den Iran verkauft. Mit anderen Worten: FIRAT’IN CINLERI hatte einen großen wirtschaftlichen Erfolg. Dann ging er nach Berlin.

 

FIRAT’IN CINLERI wurde 1979 beim Forum gezeigt. Wie kam es dazu?

KY: Ich traf Ulrich Gregor in San Remo, und er sagte mir, dass er den Film im Forum zeigen wolle. Dietrich Stobbe, der damalige Bürgermeister von Berlin, kam zu dieser Vorführung. Anschließend lud er uns in sein Büro ein. Ich kaufte mir einen Anzug mit Krawatte und ginge hin: „Würden Sie einen Film über türkische Einwanderer in Deutschland drehen?“, fragte er. Er sagte auch, dass er bei der Finanzierung helfen könne. Durch den internationalen Erfolg von FIRAT’IN CINLERI und Staubes Einladung war ich motiviert. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren meine Füße zu weit vom Boden abgehoben.

 

Die Vorführung von FIRAT’IN CINLERI beim Forum war also entscheidend für die Entstehung von KARA KAFA. Es geht im Film um den türkischen Metallarbeiter Cafer, der seine Familie aus seinem Dorf nach Deutschland holt. Vor allem die Veränderung, die seine Frau erlebt und die Anpassungsprobleme der Kinder stehen hier im Vordergrund. Wie kamen Sie auf die Idee, diese Geschichte zu erzählen?

KY: Ich hatte Freunde, die zwischen Deutschland und der Türkei hin- und herreisten. Sie haben mir solch eine Geschichte erzählt, die wirklich stattgefunden hat. Ich habe viel darüber nachgedacht und mich mit dem Drehbuchautor Bülent Oran dazu ausgetauscht. In zehn Tagen sollten wir nach Deutschland aufbrechen. Bülent hatte das Skript noch nicht fertiggestellt. Dann sind wir mit demselben Kleinbus losgefahren, den wir auch im Film benutzt haben. Bülent schrieb das Drehbuch mit der Hand, die Leute auf der Rückbank tippten es auf einer Schreibmaschine. Auf der Autobahn drehten wir auch. In drei Tagen waren wir in Deutschland.

 

In welchen Städten wurde KARA KAFA gedreht?

KY: Eigentlich wollte ich den Film zuerst komplett in Berlin drehen. Aber die Hotels hier waren zu teuer. In Berlin haben wir sogar eine Nacht auf einem Autodach geschlafen. Durch die Unterstützung des Berliner Bürgermeisters waren wir auch verpflichtet, Szenen in Berlin zu drehen. Aber nach ein paar Tagen ging es weiter nach Duisburg, wo der größte Teil aufgenommen wurde. Natürlich haben wir auch einige Szenen in der Türkei gedreht. Nicht nur die Außenaufnahmen in Kappadokien, sondern auch einige Innenaufnahmen.

 

Im Film sehen wir eine antifaschistische und antirassistische Demonstration in Köln, an der viele Migrant*innen teilnehmen. In diesen Szenen kreuzen sich Dokumentarisches und Fiktionales. Sie halten damit auch ein Stück deutscher Migrationsgeschichte fest.

KY: Das war ein nächtlicher Fackelmarsch, zu dem ich auch die Schauspieler*innen mitgenommen hatte. Sie zündeten auch Fackeln an. Natürlich wären diese Szenen in der damaligen Türkei als kommunistische Propaganda aufgefasst worden. Das war eigentlich ein ausreichender Grund, um den Film zu verbieten. Ich glaube, es hat mich ein bisschen gejuckt. Ich hatte die Ahnung, dass ich Probleme mit der Zensur bekommen würde, aber ich wollte eine andere Art von Film machen, eine wahrhafte Geschichte erzählen.

Die Zensurbehörde bestand aus einer Gruppe von pensionierten Offizieren, Polizisten und Lehrern. Jedenfalls fingen sie an, sich den Film anzusehen. Hin und wieder stand jemand auf und fluchte: „Dreckiger Kommunist!“ Sie wussten nicht, dass ich hinten im Technikraum war.

 

Eine weitere Besonderheit von KARA KAFA ist, dass der Film mit Synchronton gedreht wurde. Aufgrund technischer Unzulänglichkeiten, begrenzter Budgets und des schnellen Produktionszyklus gab es in der damaligen türkischen Filmindustrie fast keine Filme, die mit Ton gedreht wurden. Was hat Sie davon überzeugt, den Film so zu drehen?

KY: Ich bin im Studio aufgewachsen, also habe ich viele merkwürdige Dinge erlebt, die bei der Synchronisation passieren können. Ich wollte mit Ton drehen, wie es im europäischen und amerikanischen Kino üblich war. Bei den Dreharbeiten in Deutschland wurde mir jedoch klar, wie schwierig das ist. In der Fabrik arbeiteten Maschinen, im Bergwerk wurde Kohle abgebaut, es wurde geschaufelt. Daher musste das Mikrofon immer wieder gewechselt werden. Die Stimme des einen Schauspielers passte nicht zu der des anderen. Die Lautstärke ihrer Stimmen war sehr unterschiedlich voneinander. Deshalb haben wir mehr Filmmaterial verwendet, als ich je gedacht hätte. Ich würde ja nie verschwenderisch drehen; es fühlte sich aber wie eine Verschwendung an. Meinen vorigen Film hatte ich nach 28 Rollen beendet. Irgendwann habe ich den Kameramann beim Dreh von KARA KAFA gefragt, wie viele Rollen wir bisher verbraucht hatten. Als ich hörte, dass es schon 150 waren, bin ich fast durchgedreht!

 

Nach Ende der Dreharbeiten sind Sie in die Türkei zurückgekehrt und haben hier die Postproduktion des Films abgeschlossen. Dann wurde er verboten. Was ist passiert?

KY: Zuerst wurde gefragt, wo das Zensurzertifikat für das Drehbuch sei. Natürlich wurde das Drehbuch nie von der Zensurbehörde geprüft. Warum sollte es? Wir haben es auf dem Weg nach Deutschland geschrieben und dort gedreht. Die Zensurbehörde bestand aus einer Gruppe von pensionierten Offizieren, Polizisten und Lehrern. Jedenfalls fingen sie an, sich den Film anzusehen. Hin und wieder stand jemand auf und fluchte: „Dreckiger Kommunist!“ Sie wussten nicht, dass ich hinten im Technikraum war. Der Film wurde rundweg abgelehnt. Außerdem gab es eine Strafanzeige. Es wurde eine Klage eingereicht. Die Staatsanwaltschaft forderte zu Beginn des Prozesses eine Haftstrafe von 32 Jahren. Alle Negative, Poster usw. wurden beschlagnahmt. Vor Gericht wurden viele Fangfragen gestellt. Am Ende der Sitzung rief mich der Richter an seine Seite und sagte: „Nehmen Sie Ihre Angehörigen mit und verschwinden Sie von hier.“ Sie würden mich sonst bei der nächsten Anhörung einsperren. Am Abend dieses Tages fuhren wir mit dem Kleinbus, den wir im Film benutzten, los und nahmen die letzten Vorführkopien von FIRAT’IN CINLERI und KARA KAFA mit. Wir wollten nach Berlin. Das war im August 1980. Am 12. September putschte das Militär.

 

Wie lange sind Sie in Deutschland geblieben und gab es weitere Projekte, an denen Sie beteiligt waren?

KY: Wir blieben fast vier Jahre in Deutschland. Erst gaben uns Freunde ein Zimmer, dann fanden wir eine Wohnung. Die Klage in der Türkei wurde fallen gelassen, aber es gab eine Strafe für die Ausfuhr eines zensierten Films ins Ausland. Ich hatte ein bisschen Angst davor, in die Türkei zurückkehren. Erst 1987 konnte ich wieder einen Film machen. Wie sollte ich ein neues Projekt angehen? In der Zeit, als wir in Deutschland waren, brauchten wir buchstäblich Brot zum Überleben. Ich füllte den Kofferraum meines Autos mit Videokassetten und verkaufte sie in türkischen Lebensmittelgeschäften. Gab es in Deutschland keine Filme zu drehen? Ich habe zum Beispiel hier ein Skript geschrieben. Ein Bergmann verliebt sich in eine Schaufensterpuppe im Kaufhof. Sie reden miteinander. Eines Tages entführt er sie und nimmt sie mit nach Hause. Sie beginnen zusammenzuleben. Ich liebte diese Geschichte, aber konnte sie nicht verfilmen, weil mir das Geld fehlte.

 

Can Sungu lebt in Berlin und ist dort künstlerischer Leiter von Sinema Transtopia, ein transnationaler Raum für Filmkultur, Kunst und Wissen; seit 2020 ist er auch im kuratorischen Team von Fiktionsbescheinigung des Berlinale Forum.

Übersetzung: Esra Akkaya

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