Ich wurde im Sommer 1985 in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, als Sohn eines Architekten und einer Künstlerin geboren. Meine Kindheit erlebte ich also in einem der schwierigsten Zeitabschnitte in der Geschichte meines Landes. Der Bergkarabach-Krieg erreichte seinen Höhepunkt, Polizisten verdienten an Schutzgeldern, die Kriminalitätsrate explodierte, und mein Vater arbeitete als Architekt Tag und Nacht, um uns zu ernähren. Ich verbrachte deshalb viel Zeit bei meinen Großeltern und auf der Straße.
Ich erinnere mich gut daran, wie mein Vater mich einmal von der Schule abholte. Es war gegen 14 Uhr im Sommer 1993. Ich freute mich, ihn zu sehen. Er nahm mich an die Hand und wir gingen aus der Schule. Er sagte mir noch, dass wir bei der Brotfabrik, die direkt neben meiner Schule war, vorbeigehen müssten, um Brot zu kaufen. As wir später zuhause ankamen, war es schon dunkel. Wir hatten den ganzen Tag in der riesigen Schlange an der Brotfabrik gestanden und hatten Angst, es wegen der abendlichen Ausgangssperre nicht nach Hause zu schaffen. Wenn wir mal zusammen waren, sprachen wir viel miteinander.
Als Architekt hat er seit meiner Kindheit meinen Sinn für den mich umgebenden Raum geschärft. Der Gedanke, dass der Raum, der uns umgibt, oft gemacht und ausgedacht ist, begleitete mich schon sehr früh. Er zeigte mir auch, wie man Realität umgestalten kann, zum Beispiel durch das Verschieben von Wänden oder die Anordnung und Reihenfolge von Bäumen und Räumen.
Dann brachte mein Vater mir ein frisches weißes Hemd zum Bahnhof, wo wir noch eine gemeinsame Zigarette rauchten und einen Kaffee tranken, bevor ich weiterzog.
1998 siedelten wir nach Deutschland über. Die Zeit hier war aus Sicht meiner Familie eine viel friedvollere und schönere Zeit. Wir reisten viel und verbrachten ausgesprochen lebensbejahende Jahre in der Wohnung in Köln-Ehrenfeld, wo ich aufgewachsen bin. Ich machte das Abitur, musste mit dem Mobbing in deutschen Schulen kämpfen. Wir freuten uns gemeinsam über die Zulassung zum Filmstudium, über den Studentenoscar und die Cannes-Teilnahme. Ich reiste mit den Filmen viel durch die Welt und manchmal schaffte ich es nicht ganz bis nach Hause. Dann brachte mein Vater mir ein frisches weißes Hemd, das er zuvor gebügelt hatte, zum Bahnhof, wo wir noch eine gemeinsame Zigarette rauchten und einen Kaffee tranken, bevor ich weiterzog.
Bis im Winter 2014 die vernichtende Diagnose alles veränderte: SCLC – kleinzelliges Lungenkarzinom. Lungenkrebs im Endstadium. Wir wussten alle: in 12 Monaten stirbt er. Es war ein sehr unfaires und erdrückendes Gefühl. Ich wusste, niemand kann ihn jetzt verstehen, ab jetzt ist er einsam bis zum Tod. Eine Welt brach für mich zusammen. Das äußerte sich auf unterschiedliche Weise: mal in Tränen und mal hyperaktiv auf einer Party. Ich stürzte in die Tiefe und war wie ein Geist.
Als mein Vater nach 10 Monaten starb, begann ich einen langsamen Weg zurück ins Leben. Als ich ein Jahr, nachdem er gestorben war, aus meiner Betäubung aufwachte, schrieb ich das Drehbuch. Heute, wenn ich zurückblicke, bin ich ein anderer Mensch.
Elmar Imanov