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55 Min. Französisch.

Als das von der UNO ausgerufene „Internationale Jahr der Frau“ 1975 zu Ende ging, strahlte das französische Fernsehen eine Sendung aus, die unter dem Titel „Das Jahr der Frau. Gott sei Dank! Es ist vorbei“ fragwürdige Äußerungen französischer Männer versammelte, zu denen sich die damalige Staatssekretärin für Frauenfragen, Françoise Giroud, als einziger weiblicher Gast verhalten sollte. Maso et Miso vont en bateau ist die Antwort der feministischen Videoaktivistinnen „Les Insoumuses“ – Carole Roussopoulos, Delphine Seyrig, Nadja Ringart und Ioana Wieder – auf diesen Abend: Wütend und voller Witz intervenieren sie vom Schneidetisch aus und legen nicht nur die Sendung, sondern auch das Amt Girouds als Farce einer patriarchalen Gesellschaft bloß. „Kein Fernsehbild kann uns verkörpern, wir werden uns mit Hilfe von Video erzählen“.
Eine weitere Arbeit des Kollektivs ist S.C.U.M. Manifesto, das eine Lesung des gleichnamigen Manifests von 1967 inszeniert. Während im Hintergrund Nachrichtenbilder des männlich dominierten Weltgeschehens über den Fernseher flackern, breitet Delphine Seyrig Valerie Solanas' Thesen zum biologisch unvollständigen und vom Vagina-Neid getriebenen Mann aus. (Marie Kloos)

Carole Roussopoulos wurde 1945 in Lausanne (Schweiz) geboren, sie starb 2009. Sie studierte in Lausanne und zog 1967 nach Paris, wo sie gemeinsam mit ihrem späteren Mann das militante Video-Kollektiv „Video Out“ gründete. 1970 kaufte sie sich auf Anraten ihres Freundes Jean Genet eine tragbare Videokamera und realisierte ihren ersten Film Genet parle d’Angela Davis. 1982 gründete sie zusammen mit Delphine Seyrig und Ioana Wieder das Centre audiovisuel Simone de Beauvoir, das erste Archiv für audiovisuelle Arbeiten mit feministischem Schwerpunkt. Ihre umfangreiche Filmografie umfasst mehr als einhundert Arbeiten.

Delphine Seyrig wurde 1932 in Beirut (Libanon) geboren und verbrachte ihre Kindheit abwechselnd im Mittleren Osten und in den USA. 1952 begann sie eine Schauspielkarriere in Frankreich. 1956 ließ sie sich am Actors Studio in New York ausbilden. Ihre erste Filmrolle spielte sie in Robert Franks Pull My Daisy (USA 1959), in den 1960er und 1970er Jahren wirkte sie in Filmen von Alain Resnais, François Truffaut, Luis Buñuel, Jacques Demy und Chantal Akerman mit. Zur selben Zeit schloss sich Seyrig der Frauenbewegung an. Anfang der 1970er Jahre entdeckte sie im Umfeld von Carole Roussopoulos die Möglichkeiten der Arbeit mit Video; unter anderem drehte sie 1976 mit Roussopoulos den feministischen Film S.C.U.M. Manifesto. Gemeinsam mit Ioana Wieder und Carole Roussopoulos gründete sie 1982 das Centre audiovisuel Simone de Beauvoir, dessen Präsidentin sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1990 war.

Ioana Wieder wurde in Bukarest (Rumänien) geboren. Mit ihrer Familie zog sie zunächst nach Palästina, dann in den Libanon (hier lernte sie mit sieben Jahren Delphine Seyrig kennen) und schließlich nach Frankreich, wo sie 1957 die französische Staatsangehörigkeit erhielt. Nach einem längeren Aufenthalt in den USA kehrte sie 1968 nach Frankreich zurück, wo sie als Lehrerin und Übersetzerin tätig war. 1975 gründete sie gemeinsam mit Carole Roussoloulos und Delphine Seyrig das Kollektiv Les Insoumuses und begann eigene Filme zu realisieren. Gemeinsam mit Seyrig und Roussopoulos gründete sie 1982 das Centre audiovisuel Simone de Beauvoir, dessen Präsidentin sie nach Delphine Seyrigs Tod im Jahr 1990 wurde.

Nadja Ringart wurde 1948 in der Nähe von Paris geboren. Sie ist Soziologin und Regisseurin militanter Filme. Seit der Gründung des Centre audiovisuel Simone de Beauvoir im Jahr 1982 gehört sie zu dessen Vorstand. Vor Kurzem initiierte sie die Plattform Bobines feministes (Bobine = Filmrolle; feministe = feministisch; Anm. d. Red.), die Videomaterial zur Geschichte des französischen MLF (Mouvement de libération des femmes: 1970 gegründete, autonome Gruppierung innerhalb der französischen Frauenbewegung; Anm. d. Red.) online zugänglich macht. Daneben ist Nadja Ringart Mitorganisatorin des feministischen Dokumentarfilmfestivals Femmes en résistance im französischen Arcueil.

Schwarzer Humor und Videoparodien

Anlässlich des Internationalen Jahres der Frau 1975 lädt Bernard Pivot (bekannter französischer Fernsehmoderator, Anm. d. Red.) die Staatssekretärin für Frauenfragen, Françoise Giroud, ein, in seiner Sendung „Das Jahr der Frau. Gott sei Dank! Es ist vorbei“ zu kommentieren. Das Konzept der Sendung von Pivot ist einfach. Zuerst werden Interviews mit bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Leben gezeigt, unter ihnen der Radiojournalist José Arthur, der Fernsehdirektor Marcel Julian, der Journalist Pierre Belemarre, der Fernsehmoderator Jacques Martin, der Modedesigner Louis Féraud, der Segler Marc Linski, der Politiker Alexandre Sanguinetti oder der Gastronomiekritiker Christian Guy. Anschließend fordert Pivot Françoise Giroud auf, deren Aussagen zu kommentieren. Sie gibt sich etwas mondän und versucht, den Fragen mit humorvollen Bemerkungen auszuweichen.
Unter anderem hört man sie dem erstaunten Bernard Pivot entgegnen: „Ja, die Frauen führen sich auf wie Verfolgte.“ Und lachend fügt Françoise Giroud hinzu: „Wissen Sie, es gibt Frauen, die Frauenfeinde lieben.“
Am Ende der Sendung bittet Bernard Pivot Françoise Giroud um ein Schlusswort. Sie zögert, sucht nach Worten: „Wie sagt man noch gleich?“ – und erklärt dann energisch: „Der Kampf geht weiter, Kameradinnen.“

Das Recht der Gegendarstellung
Nachdem sie diese Sendung gesehen und aufgezeichnet hatten, beschlossen die Insoumuses, eine Gruppe von Feministinnen, daraus – mit ironischem Bezug auf das Recht auf Gegendarstellung – eine Videoparodie zu machen. Als visuellen Kontrapunkt setzten „Les Insoumuses“ die Schilder von der Demonstration am 8. März 1975 gegen das von der UNO eingeführte Frauenjahr ein: „Menü UNO, 1974 Hunger, 1975 Frau, 1976 Käse oder Dessert“. Sie reagierten direkt auf die Bilder und Äußerungen, indem sie als Antwort auf einzelne Passagen ihre eigenen humorvollen Kommentare und eigene Lieder in den Film montierten.
Die Insoumuses reagierten mit beißendem Spott auf die Antworten der Ministerin und der Gäste der Sendung. Die meisten der frauenfeindlichen Männer hatte Bernard Pivot ausgewählt.
Am Ende ihres Films geben die Insoumuses bekannt, dass ihr Interesse nicht Françoise Giroud als Person gilt, sondern als Repräsentantin der Regierung, konkret: als Staatssekretärin des Ministeriums, das für Frauenrechte zuständig ist.
Die ironisch betitelten Unterkapitel ihres Films fassen dessen Botschaft zusammen: „Kapitel 10: Maso lernt zu navigieren, oder: Die Galeere“. Dann: „Die Frauenbewegung versteckt sich hinter Pivot“ oder „Als Maso ins Wasser fällt“. Ab und zu applaudieren die vier Insoumuses ironisch ihrer Ministerin.
Für den Schluss der Sendung hatte Bernard Pivot Jean Ferrats Lied „La femme est l’avenir de l'homme“ (Die Frau ist die Zukunft des Mannes) ausgewählt. Die Insoumuses veränderten den originalen Text und ersetzten die Stimme des Sängers durch die einer Frau, die die Ausbeutung der Frauen anprangert.
Im Abspann erklären die Insoumuses, „dass keine Ministerin im Rahmen einer patriarchalischen Regierung andere Frauen wirklich repräsentieren kann. Sie kann lediglich die Situation der Frauen verkörpern und dabei zwischen dem Wunsch zu gefallen (Feminisierung: Maso) und dem Wunsch, Macht zu erlangen (Vermännlichung: Miso) schwanken.“ Der letzte Satz dieser Erklärung beschreibt präzise die von schwarzem Humor durchzogene künstlerische und politische Grundauffassung der Insoumuses: „Kein Fernsehbild ist in der Lage, uns darzustellen, nur mit Videofilmen können wir von uns erzählen“. (Nicole Fernandez Ferrer, Centre audiovisuel Simone de Beauvoir)

Produktion Les Insoumuses. Regie Carole Roussopoulos, Delphine Seyrig, Ioana Wieder, Nadja Ringart. Montage Carole Roussopoulos, Delphine Seyrig, Ioana Wieder, Nadja Ringart.

Weltvertrieb Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

Foto: © Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

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