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110 Min. Französisch, Englisch.

Delphine Seyrig stand in den 1960er- und 1970er-Jahren für die großen Namen des internationalen Kinos vor der Kamera. Mit dem Aufkommen der Videotechnik begann sie, zusammen mit der Filmemacherin und Aktivistin Carole Roussopoulos, eigene feministische Arbeiten zu realisieren. 1975/76 befragten die beiden 24 Kolleginnen in Frankreich und den USA – darunter Juliet Berto, Ellen Burstyn, Jane Fonda, Shirley MacLaine und Maria Schneider – nach ihren Erfahrungen als Frau im Filmbusiness.
Die Interviews mit den Schauspielerinnen sind ein erschütterndes Zeitzeugnis; sie ziehen eine ernüchternde Bilanz der Arbeit in einer Branche, die fleißig damit beschäftigt ist, die Maschinerie männlicher Phantasmen am Laufen zu halten. Seyrig fragt: „Wärst du als Mann auch Schauspieler geworden?“ oder „Hast du jemals eine Szene mit einer anderen Frau gespielt, in der die andere Frau nicht Konkurrentin war?“ und stößt damit einen Reflexionsprozess an. Erstaunlich sind dabei weniger die Antworten, die einen Mangel an differenzierten Rollen und angemessener Repräsentation beklagen, der heute keineswegs beseitigt ist, als vielmehr der Umstand, dass hier jemand zum ersten Mal die richtigen Fragen stellt. (Marie Kloos)

Delphine Seyrig wurde 1932 in Beirut (Libanon) geboren und verbrachte ihre Kindheit abwechselnd im Mittleren Osten und in den USA. 1952 begann sie eine Schauspielkarriere in Frankreich. 1956 ließ sie sich am Actors Studio in New York ausbilden. Ihre erste Filmrolle spielte sie in Robert Franks Pull My Daisy (USA 1959), in den 1960er und 1970er Jahren wirkte sie in Filmen von Alain Resnais, François Truffaut, Luis Buñuel, Jacques Demy und Chantal Akerman mit. Zur selben Zeit schloss sich Seyrig der Frauenbewegung an. Anfang der 1970er Jahre entdeckte sie im Umfeld von Carole Roussopoulos die Möglichkeiten der Arbeit mit Video; unter anderem drehte sie 1976 mit Roussopoulos den feministischen Film S.C.U.M. Manifesto. Gemeinsam mit Ioana Wieder und Carole Roussopoulos gründete sie 1982 das Centre audiovisuel Simone de Beauvoir, dessen Präsidentin sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1990 war.

Ein mieses Rollenangebot: Frauen in der Filmwirtschaft

„you’ve never seen women for their own causes, never for their own reasons“...

gerade klingelte das telefon. meine freundin denise hat ihren mann verlassen und ist nach drei monaten wieder da. sie ist 50, hat keinen beruf. auf alten fotos sieht sie aus wie arletty. sie wollte schauspielerin werden. dieser artikel sei ihr gewidmet.
in den ohren höre ich noch deutlich die stimme von all diesen schauspielerinnen, die diesen beruf, wenn sie ein mann gewesen wären, nie ergriffen hätten, so juliet berto, rita renoir, die als matrose auf abenteuer gegangen wären. ich lese nach, was sie im einzelnen erzählen. sie haben einen beruf, womit sie geld und sogar viel geld verdienen könnten, aber was für einen beruf!
genau wie wir frauen immer noch der nebenwiderspruch und das 2. (zweite) geschlecht sind, so ist auch die wirklichkeit dieser filmschauspielerinnen die von nebenrollen. hauptrollen nur in horrorfilmen oder aber in filmen, die jetzt, sicherlich von der frauenbewegung beeinflußt, persönlichkeiten in den mittelpunkt stellen. (so JULIA, VIOLETTE NOZIÈRE u. a.)
aber das ist die erst seit kurzem bestehende ausnahme. die regel sieht so aus: maria schneider (DER LETZTE TANGO IN PARIS): „ich spiele nur schizophrene, lesbierinnen, verrückte, mörderinnen“; eine schauspielerin aus kanada, die ca. 50 jahre alt ist: „ich spiele immer prostituierte, alkoholikerinnen, verlassene frauen, frauen, die mit dem leben fertig sind...“. eine junge amerikanische filmschauspielerin: „I am a twenty-four year old girl, woman, female animal... weIl, I’ve been up for sixteen-year-old-parts now and I can’t do them ... there’s no way that anyone else sees me as sixteen...“ das sind die erfahrungen von einigen, die sicher auch für den ganzen beruf zutreffen.
wie fängt es an: mit auswahlkriterien:
jane fonda: „ich werde nie vergessen, als ich zum ersten mal zu warner brothers ging, um die schminkproben zu machen. also, stellen sie sich einen stuhl vor wie beim zahnarzt, viel licht aufs gesicht, alle männer drumrum benehmen sich wie chirurgen, das sind alles männer, die stars wie greta garbo oder marlene dietrich schminkten ... also, sie haben an meinem gesicht herumgemacht und gesagt: jetzt sieh dich an! ich erkannte mich nicht wieder... ich mußte meine haare blond färben, und sie wollten mir den kiefer zertrümmern, damit ich eingefallene wangen bekomme... jack warner konnte frauen mit kleinen brüsten nicht ausstehen und so mußte ich 10 jahre lang einen falschen busen, blonde haare und falsche wimpern tragen....”
diese auswahlkriterien sind natürlich kein privileg des schauspielberufs. in allen berufen muß man sein äußeres gut verpacken und mitverkaufen. keine sekretärin kann es sich erlauben, sich anzuziehen, wie sie will, das alter spielt auch eine große rolle.
wenn man überlegt, zu welchen kompromissen sich die junge und schöne jane fonda entscheiden mußte, obwohl sie aus einer schauspielerfamilie und aus einer angesehenen dazu kommt, wenn man sich überlegt, daß sie es akzeptiert hat, denn sie mußte ja als marktprodukt auch das geld wiederbringen, dann kann man umso besser verstehen, warum in diesem beruf so viele, und sicher nicht die schlechtesten, an dem auseinanderklaffen der rolle und der identität zugrunde gehen.
„I feel so exploited and reduced... reduced in the image of myself.“ jane fonda spricht von einer unerträglichen entfremdung. wir kennen das schicksal marilyn monroes.
die rollen, die sie spielen müssen, auf die die wenigsten einen einfluß haben, gehorchen rassistischen und sexistischen kriterien: so spielen schwarze frauen immer dienstmädchen, ziehmütter oder sklavinnen ...
es wird immer noch und weiterhin, so auch in JULIA, als normal hingestellt, daß der 45jährige mann seine 25jährige partnerin bekommt. (maria schneider: „ich bin 23 und drehe mit marlon brando ... , da ist nicholson noch etwas jünger ...“)
diese klischees kommen auch bei sogenannten „linken“ filmen immer wieder vor.
bei den dreharbeiten zu fellinis CASANOVA wurde in vielen zeitungen die abgeschiedenheit der amerikanischen riesin beschrieben, die sich überall langweilt und nichts unternehmen kann, ohne wie ein tier im zoo bestarrt zu werden. wenn sie sich einen kleinen mann wählte, wäre sie etwas anderes als lächerlich?
daß sich mittlerweile die rollen etwas verändert haben, hat mit dem „kampf“ der schauspielerinnen selbst sicher wenig zu tun. das ist wie schon anfangs gesagt die indirekte wirkung der frauenbewegung, wie es sogar der spiegel richtig analysierte: „hollywood holt auf in der emanzipation. solange die kasse stimmt.“ (spiegel no 1/1978)
trotzdem können wir leider den vom selben blatt voreilig gezogenen schluß nicht teilen, „der abschied vom erniedrigenden bild der frau als bloßem und entblößtem sexobjekt ist gemacht.“ Ibidem, schön wär’s.
delphine seyrig ist selbst eine große schauspielerin, die erst jahrelang theater spielte, bevor sie auf der leinwand erschien. sie betrachtet diese arbeit (20 stunden aufnahmen auf video-band) als eine revanche ihrem beruf gegenüber. das ist hochinteressant, weil der zuschauer entdeckt, daß die meisten schauspielerinnen über ihre arbeit in einer männergesellschaft („les hommes dominent tout dans les arts, dans les affaires, dans la politique...“ – „die Männer dominieren alles in den Künsten, in der Wirtschaft, in der Politik“; Anm. d. Red.) nicht oder nur selten nachgedacht haben. sie haben nur registriert, was für miese rollen für sie bereitgehalten werden.
wir stellen wieder einmal fest, daß frauen auch da, wie in allen anderen berufen, sehr wenig entscheidungen treffen, daß sie dem starrummel nicht unbedingt kritisch gegenüberstehen, daß sie, wenn sie rollen haben wollen, sich gar keine kritik leisten können.
„die interviews stammen von 1975. was diese filmschauspielerinnen erzählen, sagt natürlich auch etwas über mich aus. video ist für mich eine art revanche meinem beruf gegenüber. aus den videobändern geht hervor, wie weit die ganze filmwirtschaft von männern kontrolliert wird. in meinem beruf entscheiden andere für mich. für eine frau ist es besonders schwer, sich da zu behaupten. filmen kostet viel geld, die video-bänder ermöglichen eine wirkliche unterhaltung, die eine halbe stunde oder mehr dauern kann. unsere wirklichkeit (als schauspielerin) übertrifft das, was man sich darunter vorstellen könnte. ich erhoffe mir von SEI SCHÖN UND HALT DEN MUND!, daß sich zwischen den zuschauerinnen und den schauspielerinnen im kino etwas ändert.“ (delphine seyrig)
(das video-band: SOIS BELLE ET TAIS-TOI ! kann bei mon oeil ausgeliehen werden: mon oeil, 20 rue d’alembert, 75014 paris, tel: 331 6900. ich bedanke mich bei delphine seyrig und claire für den zur verfügung gestellten text des bandes. alle rechte bei delphine seyrig.)

(Heike Hurst, Frauen und Film, Nr. 18, Berlin, Dezember 1978)

Produktion Delphine Seyrig. Regie Delphine Seyrig. Kamera Carole Roussopoulos. Montage Carole Roussopoulos, Ioana Wieder. Ton Carole Roussopoulos. Mit Juliet Berto, Jane Fonda, Maria Schneider, Ellen Burstyn, Barbara Steele, Telias Salvi, Anne Wiazemsky, Viva, Rose de Gregorio, Marie Dubois.

Weltvertrieb Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

Foto: © Carole Roussopoulos

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