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Sátántangó von Béla Tarr wurde 1994 im Forum uraufgeführt. Das anschließende Publikumsgespräch im Delphi Filmpalast ist hier in Auszügen dokumentiert. Neben dem Regisseur und Ulrich Gregor, dem damaligen Forumsleiter, nahmen die Schnittmeisterin und Ko-Autorin Ágnes Hranitzky, der Autor der Buchvorlage László Krasznahorkai sowie Hauptdarsteller Peter Berling an dem Gespräch teil. Miklós Gimes übersetzte aus dem Ungarischen ins Deutsche.

Ulrich Gregor: Als Einstieg in die Diskussion dieses langen Films möchte ich noch einmal dran erinnern, dass der Plan zu diesem Film schon sehr alt ist und sogar noch vor Béla Tarrs letztem Film entstand. Welche Stadien hatte dieses Projekt, wie kam es zu dieser Idee und warum dauerte es dann so lange bis zur Fertigstellung des Films?

Béla Tarr: Es wäre eine sehr lange Geschichte, wenn man das alles erzählen wollte. Das würde länger dauern als der Film selbst. (Gelächter) Ich habe den Roman von László Krasznahorkai 1985 zum ersten Mal gelesen und habe ihn sofort sehr gemocht. Er hat mir sehr gefallen. Zu der Zeit passierte sehr viel und wir mussten mit unterschiedlichen äußeren Zwängen umgehen. Jetzt endlich ist es soweit, dass Sie den Film sehen können und das ist sehr vielen Menschen zu verdanken, die uns dabei geholfen haben. Besonders möchte ich jemandem danken, der heute nicht hier ist: Alf Bold. Ohne seine Hilfe wären wir hier nicht auf dem Podium.

UG: Ich möchte auch Herrn Krasznahorkai etwas zu diesem Film fragen. Was bedeutet es für Sie, diesen Film hier zu sehen? Soweit ich weiß, war es nicht etwa so, dass Béla Tarr aus dem Roman den Film gemacht hat, sondern Sie haben beide ganz eng zusammengearbeitet und Sie waren in jede Phase des Films involviert.

László Krasznahorkai: Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich je mit einem Filmemacher so eng zusammenarbeiten könnte wie mit Béla Tarr. Das bezieht sich nicht nur auf Béla Tarr als Person, sondern überhaupt auf die Gattung Film. Film war für mich immer etwas Fremdes und es ist für mich selbst die größte Überraschung, dass ich jetzt hier sitze nach einem Film, an dem ich selbst mitgewirkt habe. Nicht nur der Film ist etwas Fremdes für mich, sondern auch die Literatur. Es wäre für mich auch seltsam, bei der Premiere meiner eigenen Bücher zu sitzen. Es ist seltsam, mich hier in einer Situation zu erleben, die so ganz anders ist als das, was mein Leben sonst ausmacht. Für mich sind ja das nicht zwei verschiedene Sachen. Meine Bücher und auch die Zusammenarbeit an diesem Film entstanden ja ursprünglich aus meiner Verzweiflung, deshalb ist es für mich schwer, jetzt nicht über meine Verzweiflung zu sprechen. Diese Verzweiflung war auch der Antrieb dafür, mit Béla zusammenzuarbeiten. Einmal saßen wir in einer Kneipe, als das Buch auf Ungarisch erschien, und uns wurde klar, dass diese Verzweiflung eigentlich nichts Außergewöhnliches ist. Ich denke, die meisten von euch, die hier sitzen, hätten genauso gut in dieser Kneipe sitzen können und auf dieselbe Weise wie wir damals mit dieser Verzweiflung kämpfen können. Sie ist dieselbe, die Sie erleiden. Unsere einzige Aufgabe besteht nun darin, die Distanz zwischen dem fertigen Produkt und unserer Verzweiflung zu erklären: Was der Erklärung bedarf, ist also die Tatsache, dass wir trotz dieser tiefen Verzweiflung noch in der Lage sind, so etwas herzustellen. Wir mussten nicht lange darüber sprechen, damals in dieser Kneipe, woran wir eigentlich verzweifeln. Wir stellten aber auch schnell fest, dass es einen Unterschied zwischen Verzweiflung und Untätigkeit gibt. Denn Verzweiflung heißt ja nicht Inaktivität. Das möchte ich nochmal betonen, auch wenn es vielleicht klar ist, Verzweiflung ist nicht gleich Untätigkeit und Unkreativität. Als wir begannen, zusammen Filme zu machen, dachten wir, es bedarf eigentlich keiner Erklärung, warum wir Filme machen. Ich denke, das ist eigentlich einsehbar und klar.

Publikum: Ich wollte fragen, ob der Autor in diesem Fall zufrieden ist mit der Umsetzung seiner Bilder. Also das ist ja eigentlich oft der Fall, dass Literaturverfilmungen nicht den Vorstellungen des Schriftstellers entsprechen und ich hätte gern gewusst, ob diese filmische Adaption seinen eigenen Bildern irgendwie im Weg gestanden ist.

LK: Ich kann nur auf die erste Frage eingehen: Ich bin sehr zufrieden mit dem Film. Den Sinn von Literaturadaptionen habe ich eigentlich nie eingesehen. Aber das ist keine Adaption von Literatur. Was den Film und das Buch verbindet, ist eine Essenz, ist das Wesentliche. Ich denke, auf die zweite Frage, also auf die Frage inwiefern meine Bilder ihn daran gehindert haben, eigene Bilder zu finden, müsste der Regisseur antworten.

BT: Also erstens handelt es sich hier um sehr gute Literatur, die ich über die Jahre immer wieder neu gelesen habe und immer noch sehr liebe. Da war also einerseits Literatur, für die wir eine filmische Form suchten. Gleichzeitig haben wir den Roman als eine Art Vorwand genutzt, um auch ein bisschen über das Filmemachen auszusagen. Und dann blieb noch diese Kleinigkeit, dass wir auch über unser Leben sprechen wollten. Über unseren Alltag. Und wie auch der Roman die Frage aufwirft, was eigentlich unsere Aufgabe ist oder was die Aufgabe von Literatur ist – um das jetzt sehr zu vereinfachen – so müssen wir uns gleichzeitig fragen, was eigentlich die Aufgabe von Film ist. Was ist Film überhaupt?
Also wie wird etwas eine Geschichte? Wie wird etwas Zeit? Wie wirken diese Kategorien, wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Wie leben wir und was nehmen wir wahr in diesem Zustand? Was sehen wir? Wann wird es wichtig, wie die Ecke dieses Tisches aussieht, aus welchem Material der Tisch ist? Und so gibt es eine ganze Reihe Fragen, die wir mit unserer Arbeit, unseren Filmen, aber auch unserem Alltag beantworten. Und es gibt keine definitive Antwort. Je mehr wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, desto unsicherer werden wir und wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass wir keine Antwort finden werden. Es wäre sehr schön, wenn es eine endgültige, eine bestimmte Antwort gäbe. Man muss trennen zwischen dem, was war, was sicher ist, was nicht mehr in Frage gestellt wird, und dem, was noch kommt. Auch bei der Filmarbeit kann man eine Trennungslinie zwischen dem ziehen, was war und dem was noch vor uns steht. Das sind Überlegungen, die wir in unserer Arbeit anstellen.

Publikum: Ein wichtiges Merkmal des Films ist das Spiel mit der Zeit und dass mehrere Perspektiven erzeugt werden. Der Film springt manchmal zurück und zeigt den gleichen Vorgang noch einmal aus anderer Perspektive. Das finde ich außerordentlich interessant, weil der Film sonst ja fast Realzeit hat. Ist dieses Element auch schon im Roman angelegt?

BT: Diese Polyperspektive ist ja auch ein literarisches Element. Im Roman ist es genauso. Im Film muss man aber etwas, das man aus einer anderen Perspektive zeigen will, real wiederholen, um das verständlich zu machen. In der Literatur kann man schneller darauf verweisen. Dieser Kugelschreiber sieht nichts. Die Kamera sieht immer, d.h., sie braucht ein Objekt. Der entscheidende Unterschied ist, dass ich mit diesem Kugelschreiber herumspielen kann, aber mit der Kamera nicht.

Publikum: Eine Nachfrage zu der ersten Aussage des Regisseurs: Ich finde auch, dass der Film eine unglaubliche Seherfahrung und sicher auch für Filmtheoretiker ein gefundenes Fressen ist. Aber habe ich Sie richtig verstanden, dass die metafilmischen Aspekte gegenüber den Welt- und Menschenbildern des Films für Sie im Vordergrund stehen?

BT: Nein. Das Leben ist für uns das Wichtigste und Film ist ein Teil unseres Lebens. Das kann man nicht trennen. Die Welt, die uns umgibt, ist wichtig: In welchem Zustand ist das Land, wie sind die Straßenverhältnisse, wie sehen die Gesichter der Menschen aus? Wir suchen nach einer Formulierung, die das widerspiegelt, was wir täglich sehen und erleben. Es gibt keine Philosophie, auf die man alles zurückführen kann, keine formulierbare Ideologie, auch keinen Schöpfungsakt, sondern es sind Gefühle. Mit dem Tastsinn unserer Gefühle nehmen wir auf und versuchen, etwas wiederzugeben. Und einer dieser Sinne ist die Kamera.

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