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Am 4. Juni 1819 begab sich Simón Bolívar auf eine sechswöchige Reise, die ihn vom Río Arauca an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze über die Anden bis nach Bogotá führen sollte. Auf seiner Route von heißen Prärien hinauf zu den Hochmooren der Anden von Pisba bahnte er sich seinen Weg durch unwirtliche Landschaften, gefrorene Sümpfe und sengende Täler während er Truppen für seinen Kampf um die Befreiung Südamerikas zusammenstellte.

Der 10. August 1819 markierte das Ende dieser Reise, Bolívar hatte Kolumbien befreit und beanspruchte von nun an den Titel El Liberator: der Befreier und alleinige Kommandant, der oberste General und Präsident der nördlichen Hälfte Südamerikas. Diese abenteuerliche Reise festigte Bolívar als die wichtigste Figur des Kontinents und als Herrscher dessen, was zu Großkolumbien wurde, einem kurzlebigen Staat, der aus den heutigen Republiken Kolumbien, Venezuela, Panama, Ecuador und Peru bestand. Großkolumbien war die größte Nation Amerikas und wurde politisch nach dem Vorbild Großbritanniens gestaltet – La Gran Colombia – Bolívars Traum.

2019 markiert das zweihundertste Jubiläum der epischen Reise, die die Befreiung Südamerikas einleitete – und die Erinnerung an Simón Bolívar ist lebendiger und einflussreicher denn je.

Bolívars Erschaffung von Gran Colombia wurde mit Napoleons Bestrebungen verglichen, nicht nur in Bezug auf die geografischen Ausmaße, sondern auch in Bezug auf ihren geteilten persönlichen Ehrgeiz und ihr unersättliches Streben nach Ruhm. Bolívars Regierungsmethoden sind Gegenstand von Studien und Debatten. Sein Charisma und seine militärischen Fähigkeiten indes sind unumstritten. Sein Vertrauen in die caudillos (gewalttätige Landbesitzer, die er mit politischer Macht ausstattete, damit sie im Gegenzug das große Gebiet kontrollierten) etablierte darüber hinaus eine dominante politische Klasse, die bis heute besteht. Dieses regierende Erbe ist wohl die Ursache für die scheinbar endemische Gewalt in der Region. 2019 markiert das zweihundertste Jubiläum der epischen Reise, die die Befreiung Südamerikas einleitete – und die Erinnerung an Simón Bolívar ist lebendiger und einflussreicher denn je: Er wird von einer Vielzahl internationaler Persönlichkeiten, die oft gegensätzliche politische Ansichten vertreten, bewundert, regelmäßig im politischen Diskurs beschworen sowie auf öffentlichen Plätzen mit Statuen und epischen Denkmälern verewigt.

Die unkonventionelle Erzählform des Films ermöglicht einen Dialog, der das Gewicht der Geschichte im kollektiven Unbewussten von heute reflektiert.

Thema und Ziel des Films sind daher vielschichtig. Einerseits folgen wir Bolívars Weg über die Erforschung der Psychogeografie der Landschaft, andererseits entdecken wir verschiedene Rituale des Gedenkens, die während der Feierlichkeiten des zweihundertsten Jubiläums entstehen. Auf Bolívars Fußspuren hören wir im ganzen Land eine Vielzahl von mündlichen Überlieferungen und entdecken, wie diese flüchtigen Geschichten – wie ein lebendiges Archiv – eine solch komplexe politische Erzählung in sich aufnehmen. Während die Regierung Bolívars militaristische Errungenschaften feiert, um ihren gegenwärtigen kriegerischen Konflikt zu rechtfertigen, verinnerlichen die Bewohner*innen dieser verschiedenen Geografien die Erzählungen auf vielfältige Weise, die vom Theater über Volkslieder bis hin zu politischen Ritualen reichen.

Die unkonventionelle Erzählform des Films ermöglicht einen Dialog, der das Gewicht der Geschichte im kollektiven Unbewussten von heute reflektiert und eine Reihe politischer und sozialer Realitäten offenbart, die sich auf das politische Erbe zurückführen lassen, das Bolívar während der Befreiung Südamerikas etablierte. Ein Vermächtnis, das auf sein Vertrauen in die gewalttätigen caudillos während der Befreiungskampagne zurückgeht, die heute als Gouverneure wieder aufgetaucht sind. Die Befreiung, für die Bolívar einst kämpfte, zwang die Spanier zwar dazu, die Kontrolle über ihre Kolonie aufzugeben, hinterließ aber ein kränkelndes Gebiet – ein zersplittertes Gebiet, das gezwungen war, untereinander um politische Macht und Landbesitz zu kämpfen.

Im Jahr des zweihundertsten Jahrestags von Bolívars Befreiungsreise reflektiert BICENTENARIO die weitreichenden Folgen des Vermächtnisses des Befreiers, das durch eine Vielzahl von absichtlichen und unabsichtlichen Erinnerungsritualen lebendig gehalten wird. Wir bewohnen die zeitlosen Landschaften, die Zeugen von Bolívars Reise waren, und versuchen, die sozialen Rituale zu enthüllen, die sich auf seinen Namen berufen und die tief im sozialen und politischen Gewebe verankert sind, das uns ausmacht.

Pablo Alvarez-Mesa

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