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Zutiefst zweifelnd begann ich die Arbeit an CETTE MAISON (This House). In jeder Phase der Entstehung des Films kehrte eine Frage immer wieder: Würde ich den Mut aufbringen, diese Geschichte zu erzählen? Ich schaute auf die Frauen meiner Familie, auf meine Cousine, deren Mutter. Ich hatte keine andere Wahl als immer weiterzumachen, trotz aller inneren Zweifel.

Mit diesem hybriden Projekt (zwischen Dokumentar- und Spielfilm) spreche ich ähnliche Fragestellungen an wie in meinen früheren Filmen: Wie das Bild des schwarzen Körpers wiederherstellen und ihn menschlich machen? Wie das Exil überleben? Als Kind der Kolonien, als Kind der Inseln, als Kind von Einwanderern spürte ich die Verpflichtung, mein wesentlich konfliktgeprägtes Verhältnis zu diesen Gebieten zu untersuchen. (Anm.d.Ü.: Die zu Frankreich gehörenden, aber außerhalb Europas liegenden Regionen wurden früher offiziell départements bzw. territoires d'outre-mer genannt, auf deutsch: Überseegebiete.) Ähnliche Themen wie bei meinen Kurzfilmen in Form eines langen Films anzusprechen, hat es mir erlaubt, auf die Überzeugung zu vertrauen, dass eine freiere Form mehr hervorzubringen imstande ist als die schiere Realität einer Tragödie.

Die Daseinsberechtigung des Projekts ist verankert in einem Ungerechtigkeitsempfinden und einer Suche nach Unerschrockenheit. Dieser Film ist eine Art Hommage an meine Cousine. Ich habe versucht, ihr eine Stimme zu geben und diese Stimme gleichzeitig mit meiner eigenen zu vermischen. Zusammen haben wir leere Räume und verlassene Orte bewohnt, haben unterschiedliche Epochen durchquert, um ausgehend von alten Geschichten neue Erinnerungen an unsere gemeinsame Vergangenheit zu schaffen – Erinnerungen, die keine Gewalt mehr zu verändern vermag. Es wäre ein Leichtes gewesen, mich für ein Vorgehen zu entscheiden, das auf das Mittel des Schocks setzt. Anzuprangern, wütend zu werden und diese Wut den gesamten Film absorbieren zu lassen. Glücklicherweise ist dies nicht geschehen.

Ich habe mit einer gewissen Sanftheit versucht zu dokumentieren, wie die von einem gewaltsamen Akt verursachte Schockwelle durch die Zeit läuft. Ich habe ihre Geschichte aufgezeichnet, ihre Archäologie betrieben und ausgehend von einem traumatischen Ereignis die Möglichkeit ins Licht rücken wollen, etwas aufzubauen, etwas zu schaffen, um schließlich eine Befreiung von diesem Ereignis zu bewirken. Eine Greifbarkeit dieses Dramas entzieht sich mir. Dieses Projekt ist wie eine Flucht nach vorn, die zu einer Reise geworden ist, einer Reise, die uns zu einer Vielheit von Zeiten führt.

Mir lag daran, die Liebesgeschichte zwischen einer Mutter und ihrer Tochter zu erzählen. Eine Geschichte, die die Grenzen des Wirklichen verschiebt, die Grenzen des Todes

Dafür wählte ich die Form des Essays, weil diese mir Nuancen erlaubt. Indem ich den Nuancen meine persönlichen Interpretationen hinzufügte, konnte ich den roten Faden von CETTE MAISON spinnen. Der ist sehr einfach. Mir lag daran, die Liebesgeschichte zwischen einer Mutter und ihrer Tochter zu erzählen. Eine Geschichte, die die Grenzen des Wirklichen verschiebt, die Grenzen des Todes. Der Tod meiner Cousine im Jahr 2008 hat unausweichlich einen Großteil meiner Überzeugungen erschüttert.

Reisen in der Zeit (Bridgeport – Haiti – Laval), hin zu inneren Erinnerungen, sind integraler Bestandteil der Geschichte, die im Off erzählt wird. Für mich war es grundlegend, die unterschiedlichen Chronologien der Erzählungen zu verankern. Diese Erzählungen sollten die Zuschauer*innen zwar leiten, ihnen aber keineswegs sämtliche Antworten liefern. Der Text wird von drei Frauenstimmen gesprochen (die Mutter, das junge Mädchen, ich selbst), die die Zuschauer:innen über die von den Bildern aufgesuchten Orte hinaus führen. Oft wird gesagt, der Ton würde uns leichter auf Reisen schicken, auf diese Weise würde unsere Vorstellungswelt geöffnet. Für die Darstellung meiner Cousine war es bedeutsam für mich, sie als Erwachsene zu imaginieren, sowohl körperlich als auch von ihrer Stimme her. Diese Entscheidung hat mich in die Lage versetzt, sie mir mit einer Reife vorzustellen, die sie niemals erlangen wird.

Einer Reise durch die Trauer gleich setzt das Hin- und Hergehen in der Zeit ein Nachdenken über Erinnerung in Gang und über die Spätfolgen, die bleiben, wenn man mit Gewalt konfrontiert wird. Den Wunsch, von der Gewalt zu erzählen, ohne sie explizit zu zeigen, hatte ich von Anfang an. Mein Ansatz ist nicht auf Wahrheitssuche aus, eher auf Sinnsuche. Der Beginn einer von Gewalt befreiten Geschichte.

Myriam Charles

Übersetzung: Stefan Pethke

Züruck zum film

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