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SAHNEHAYE ESTEKHRAJ (Scenes of Extraction) ist die zweite filmische Episode meiner fortlaufenden Recherche zur visuellen Grammatik der Ölförderung, die von der British Petroleum (BP) im Zuge ihrer Geschäftstätigkeiten im Iran und in Asien allgemein durchgeführt wurde. Während der letzten fünf Jahre habe ich mich mit den frühen geologischen Messungen und seismischen Kartierungen beschäftigt, die in den südwestlichen Provinzen des Irans gemacht wurden – den Gebieten, in denen die Großzahl der im 20. Jahrhundert entdeckten und erschlossenen Ölfelder liegt. Die in SAHNEHAYE ESTEKHRAJ verwendeten Fotografien, Filme und Zeitschriften entstammen der Film- und Fotosammlung von British Petroleum sowie meinem persönlichen Archiv, das ich in einem akribischen, fünf Jahre währenden Rechercheprozess zusammengetragen habe. Als Filmemacherin und Forscherin arbeite ich an der Schnittstelle zwischen dokumentarischer Medienpraxis und künstlerischer Forschung. Dieser Film versteht das Archiv als konzeptionelles Prisma, materielles Objekt und imaginative Praxis. Ich erforsche die archivarischen Zeitlichkeiten und Evidenz-Ästhetiken, und wie diese in die ethnografische Fotografie im Rahmen der frühen kolonialen Erkundung des Erdöls im Iran eingeflossen sind. Dabei fasse ich das Archiv als ein Portal zu einem Anderswo und Anderswann auf, in dem das Archivmaterial gleichzeitig als Beweismittel und Schauplatz des Verbrechens fungiert. SAHNEHAYE ESTEKHRAJ nutzt das Archiv als Modalität und Schwelle, um taktische, spekulative und experimentelle künstlerische Strategien zu entwickeln, welche die im kolonialen Weltbild verankerten Orientierung von Zeit und Raum verweigern, beleben und aufkündigen.

Darüber hinaus erforscht SAHNEHAYE ESTEKHRAJ die in diese archivarischen Konstellationen eingebettete dialektische Beziehung zur Petro-Zukunft. Zum einen ermöglichten seismografische Methoden und geologische Vorstellungswelten es, die unterirdischen ölhaltigen Schichten als ein Bindeglied zwischen geologischer Vergangenheit und imaginärer Zukunft darzustellen, indem sie eine materielle Kontinuität zwischen Rohöl und seinem unsichtbaren Nachkommen herstellten. Zum anderen dokumentierten ethnografische Studien unzählige ethnische und indigene Normen und Lebensgrundlagen und schufen dabei eine binäre Unterscheidung zwischen modern und nicht-modern. Zugleich waren diese ethnografischen Studien das, was in der Anthropologie als „Salvage Ethnography“ bekannt wurde und sich auf die Bewahrung einer im Verschwinden oder in der Auslöschung begriffenen Vergangenheit für die Zukunft beruft. Diese Spannung kann auch in Abbildungen des Erdinneren als eine Form der Kontinuität zwischen der geologischen Vergangenheit und einer Erdölzukunft erforscht werden. Ihr gegenüber werden die ethnografischen Bilder als Porträts einer Nation gestellt, die sich bald von ihrer nicht-modernen und indigenen Vergangenheit unterscheiden wird.

Erdölinfrastrukturen waren nie losgelöst vom Feld der Repräsentation, und die sich überschneidenden Formen der Extraktion, die von der abbaubaren Materie bis zu den Bildern reichen, sind einer der Hauptschwerpunkte dieses Films.

Auf der Suche nach den Verbindungen zwischen Erdölinfrastrukturen, der Kamera und dem Archiv nehme ich die parallele Anwendung von geologischen Messungen und ethnografischen Konstruktionen durch Film und Fotografie in den Fokus. Der Film lädt die Zuschauer*innen ein, darüber nachzudenken, wie und warum eine geologische Kamera und eine ethnografische Kamera miteinander gekoppelt wurden, und was uns diese Verschränkung über die rassifizierte soziale Schichtung der Geologie zu erzählen vermag. Erdölinfrastrukturen waren nie losgelöst vom Feld der Repräsentation, und die sich überschneidenden Formen der Extraktion, die von der abbaubaren Materie bis zu den Bildern reichen, sind einer der Hauptschwerpunkte dieses Films.

SAHNEHAYE ESTEKHRAJ fordert die Zuschauer*innen auf, die sozialen, materiellen, menschlichen und ökologischen Parameter zu hinterfragen, die an den Gewinnungsprozessen beteiligt sind. Wenn wir davon ausgehen, dass die Ölförderung einzig und allein die Erde betrifft, was bedeutet es dann, die materiellen Beziehungen der Extraktion zu überdenken? Wie können wir den sozialen Verlust und die kulturelle Auslöschung durch die Extraktion neu fassen? SAHNEHAYE ESTEKHRAJ ist ein Akt des Zuhörens und des Auslotens von Bildern.

Sanaz Sohrabi

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