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„Vor mehr als zwei Jahren, in den ersten Tagen der Corona-Pandemie, als erstmals der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, lebte ich ein ausgesprochen häusliches Leben. Wenn ich mich hinauswagte, dann mied ich Busse und Bahnen und fuhr stattdessen ausschließlich mit meinem Rad. Ein Besuch bei einem Freund, sonst eine Fahrt von zehn Minuten, dauerte nun fast eine Stunde. Es war jedoch nicht einfach so, dass es nur länger dauerte – ich erlebte auch eine komplett neuartige Szenerie auf meinem Weg. Die größeren Distanzen brachten sehr gemischte Gefühle mit sich, ich fühlte mich nicht in der Lage, jemanden zu treffen, der sehr weit entfernt wohnte, oder das Gefühl des Getrenntseins, selbst wenn man ihn oder sie traf. Diese Tage des Nachdenkens über die Wege, die ich auf mich nehmen musste, um Leute zu treffen, haben mich zu diesem Film inspiriert.“

Diesen Absatz habe ich als erste Überlegungen zu meinem vorangegangenen Filmprojekt geschrieben, das im letzten Jahr gedreht werden sollte. Aus verschiedenen Gründen hat sich das verzögert, aber diese Empfindungen habe ich in den dann neu begonnenen Film SUBETE NO YORU WO OMOIDASU (Remembering Every Night) inkorporiert. Meine Erfahrung der „Distanz“ hat als Fundament dieses Films eine neue Gestalt angenommen, darum schien es mir sinnvoll, den Text hier zu zitieren.

Die Protagonistinnen von SUBETE NO YORU WO OMOIDASU sind drei Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen – ihren Zwanzigen, Dreißigern und Vierzigern. Sie leben in Tama New Town, einer Satelliten-Vorstadt von Tokio. Vor rund fünfzig Jahren wurde Tama New Town als Pendlerstadt konzipiert und entwickelt. Auf den ersten Blick erinnert die Szenerie in ihrer künstlichen Einförmigkeit an eine Filmkulisse. Wohnanlagen und Parks scheinen sich in die Unendlichkeit zu erstrecken, kein Ausweg in Sicht. Als Kind lebte ich in Tama New Town und bin bis heute von seiner Einzigartigkeit fasziniert.

Für die Außenwelt mögen die drei Frauen isoliert erscheinen, aber indem sie zu Fuß gehen, anderen begegnen und darüber reflektieren, was ihnen wichtig ist, denken sie über die Abstände nach, die sie trennen, und über das, was zwischen ihnen liegt.

Als ich auf die Idee kam, einen Film dort zu drehen, bemerkte ich von menschlichen Aktivitäten hinterlassene Spuren und auch Formen von Patina, die sich im Lauf der Zeit inmitten der uniformen Szenerie entwickelt haben. Beim Recherchieren erfuhr ich, dass einige Kultur- und Infrastrukturprojekte aus unabhängigen Bemühungen der Bewohner, aber vor allem der Bewohnerinnen entstanden waren. Hausfrauen versuchten, die Gemeinschaft durch eine Vielfalt von Initiativen zu stärken. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Tama New Town von Frauen erbaut worden ist. Mit dieser Stadtgeschichte im Hinterkopf wollte ich eine Geschichte moderner Frauen erzählen. Die drei Frauen in meiner Geschichte bewegen sich, jede aus einem anderen Grund, im Lauf eines Tages zu Fuß und mit Verkehrsmitteln durch die Straßen der Stadt.

Anders als die Frauen in der Vergangenheit geht es den drei Protagonistinnen nicht um den solidarischen Aufbau einer Gemeinschaft. Sie tragen alle die Last ihrer eigenen Sorgen und Gefühle des Isoliertseins. Im Lauf des Tages machen sie Zufallsbegegnungen, warten auf andere Menschen und schaffen es nicht, die zu treffen, die sie treffen wollen. Obwohl sie nah beieinander leben, kennen sie sich nicht. Jedoch erkennen sie die Bewegungen der anderen durch das Viertel und die Spuren der angesammelten Zeit führen zu kleinen Transfomationen. Ich habe mich gefragt, ob ich einen Film machen könnte, in dem die Bruchstücke der Tage dieser drei Frauen miteinander ins Gespräch kommen.

Für die Außenwelt mögen die drei Frauen isoliert erscheinen, aber indem sie zu Fuß gehen, anderen begegnen und darüber reflektieren, was ihnen wichtig ist, denken sie über die Abstände nach, die sie trennen, und über das, was zwischen ihnen liegt. Auch wenn das Gehen selbst diese Abstände nicht verringern mag, werden sie ihnen doch erstmals bewusst. Vor dem Hintergrund des einförmigen Terrains der Stadt, in dem diese Frauen darum kämpfen, in ihren Leben voranzukommen, habe ich den Wunsch zu sehen, welche neuen Ansichten und Gefühle entstehen.

Yui Kiyohara

Übersetzung: Ekkehard Knörer

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