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Maya Schweizers neue Arbeit VOICES AND SHELLS (2020) vereint zentrale Parameter ihres bisherigen filmischen Schaffens: die visuelle Spurensuche eines Fassaden abtastenden Kamerablicks; strenge Ortsspezifik; die analytische Suche nach einer Form der Materialisierung gesellschaftlicher Erinnerung in Gebäuden, Denkmälern, Bildern, Geschichten. Sie ist eine dichte Collage aus Sound-, Text- und Bildmaterial, deren Vielstimmigkeit ein kollektives Gedächtnis triggert.

Schweizer nähert sich der Stadt München über die Kanalisation, sie fungiert als Infrastruktur eines mnemotechnischen Gedächtnispalastes. Dort hallen Stimmen wider, die von Gewalt, Verlust und Schmerz erzählen. Der 17-minütige Film besticht mit einem assoziativen Bildernetzwerk aus eigenem Material, (historischem) Found Footage und (Bild-)Zitaten: „Die Fassade ist nicht nur eine Fassade, wir müssen sie zum Reden bringen.“ Schweizers Kamera fährt an der neoklassizistischen Außenwand des 1937 eröffneten Haus der Kunst entlang, umkreist den Kunstpavillon, der einst Atelier des nationalsozialistischen Bildhauers Josef Thorak war, und nähert sich den zugeschneiten Propyläen am Königsplatz. Kontrastiert werden diese Bilder mit einem historischen Blick auf die Feldherrnhalle, wo George Stevens kurz nach Kriegsende ein Graffito abfilmte: „K. Z. Dachau – Velden – Buchenwald. Ich schäme mich daß ich ein Deutscher bin.“ Aufnahmen von Plakaten, die die Toten des Terroranschlags von Hanau beklagen, lösen diese Architekturansichten ab. Solche Einstellungen verdeutlichen historische Kontinuitäten, ohne plakativ zu sein. Die Spiralform fungiert als wiederkehrendes Leitmotiv, sie wiederholt sich in der Struktur eines Schneckenhauses, der Zeichnung einer kindlichen Hand, im vertikalen Blick auf ein steinernes Treppenhaus […]. Als Form der Zeitwahrnehmung steht sie sinnbildlich für die dialektische Denkbewegung von Schweizers Kurzfilmen. Sie impliziert Benjamins Denkfigur des Engels der Geschichte, der mit Schrecken auf die Gräueltaten der Vergangenheit blickt und dabei stetig weiter in die Zukunft gezogen wird – immer im Wissen um die Gefahr der Wiederholung aller historischen Katastrophen.

Mira Anneli Naß ist Kunst- und Fotohistorikerin. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet sie an der Universität Bremen.

Auszug aus einer Besprechung der Ausstellung „Maya Schweizer: Stimmen“, Museum Villa Struck, München, 22.10.2020–24.1.2021, in: Camera Austria, Nr. 152, 2020, S. 77.

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