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Im Prolog des Films sieht man auf einer Reihe alter, verblasster Fotografien eine Umarmung zwischen Mutter und Tochter. Ich weiß ebenso wenig, ob hier ein eine Begegnung oder eine Trennung dargestellt sind, wie mir klar ist, ob unser Leben eine Begegnung oder eine Trennung bedeutet.

Dieser Film handelt von meiner Mutter. Ich musste ihn drehen, weil niemand sonst die Geschichte dieser vergessenen Frau erzählen konnte, einer der Kino-Pionierinnen der Sowjetunion, die wie Millionen anderer Frauen während der des stalinistischen Terrors inhaftiert wurde. Genau wie sie verschwanden auch ihre Filme, für immer, wie man glaubte. Was das System diesen eindeutig unschuldigen Frauen angetan hat, ist der Ausdruck des absolut Bösen: Sie kamen als Angehörige sogenannter „Volksfeinde“ ohne Anklage oder Prozess in Gefangenschaft – ein beispielloser Willkürakt in der internationalen Justizgeschichte.

Doch in diesem bewussten Moment, dem Abschied auf dem Bahnhof, reiste die Mutter ab, um einen Film zu drehen. Das Kind nimmt Abschied von der Mutter und weint. Und hier stellt sich die Frage: War der Anlass für den Weggang der Mutter die Tränen eines Kindes wert? Mit diesem Film versuche ich, diese Frage zu beantworten.

Die Kunst, oder, anders gesagt, das von Menschen geschaffene Schöne, überdauert. Daraus beziehe ich meinen Optimismus.

Als ich mit der Arbeit begann, stand ich gleich vor einem zentralen Problem – wie wollte man diese Zeiten in Bilder fassen? Alles, was ich von meiner Mutter noch besaß, waren einige Fotos, die sie an Filmsets zeigten. Angesichts der intimen Natur des Filmes wollte ich den üblichen Weg über die Benutzung von Archivmaterial vermeiden.

Und so nahm der Film dann letztlich Gestalt an: Es gab die alten Fotos, die der Beschlagnahme entgangen waren, darunter ein emblematisches Foto meiner Mutter – einer ungewöhnlich attraktiven Frau in usbekischer Tracht. Dann waren da Collagen von Simon Machabelli, die vergangene Zeiten darstellen, und ein Bild vom „blauen Zimmer“ – die kurze, glückliche Phase der Kindheit, wiederhergestellt durch blaue Erinnerungsfetzen. Daneben gab es Episoden aus meinen früheren Filmen, die direkt oder indirekt von meiner Mutter erzählen. Mit einem aktuellen Kommentar unterlegt, wollte ich ihnen die Wirkmacht eines echten Dokuments verleihen – als sei meine Auffassung von Realität die Realität schlechthin. Auch das Making-of meines letzten Langfilms OKROS DZAPI (Golden Thread), von Kameramann Jean-Louis Padis auf sehr kreative Weise festgehalten, fand Eingang in diesen Film, der auch Filmgeschichte behandelt, und zwar die Geschichte von Filmemacherinnen, die hier über drei Generationen repräsentiert sind: durch meine Mutter, mich und meine Tochter.

Die emotionale Seite der Erzählung musste durch die Musik unterstrichen werden. Rezo Kiknadzes Saxophonspiel bringt mit seiner verstörenden, unheilvollen Intonierung den Klang der damaligen Gegenwart hinein, kontrastiert mit „Frère Jacques“, einem Lied aus meiner Kindheit. Dessen helle und fröhliche Melodie wird immer wieder durch bedrohliche Klänge überlagert, trägt am Ende aber doch den Sieg davon.

Und schließlich sind da Nutsa Gogoberidzes wieder aufgetauchte Filme, die international Beachtung finden. Damit war meine Mutter ins Leben zurückgeholt, und die Tränen des Kinds trockneten. Denn Diktaturen zerfallen, doch die Kunst, oder, anders gesagt, das von Menschen geschaffene Schöne, überdauert. Daraus beziehe ich meinen Optimismus. „Leben, um davon zu erzählen“, heißt es bei Gabriel García Márquez. Ich empfinde genauso. Ich habe weitergelebt, um davon zu erzählen. Mein Leben ist ein Spiegel der größeren historischen Katastrophen, die immer noch als Wunden unserem Land eingeschrieben sind. Und es ist nun eben charakteristisch für Wunden, dass sie gelegentlich aufbrechen und erneut zu bluten beginnen…

Lana Gogoberidze
Übersetzung: Clara Drechsler, Harald Hellmann

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