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Schöne Frauen
Zeigen Haltung
Ihre Körper in Flammen
Brennen bis zum Morgengrauen

Im Jahre 2019 kündigte Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro an, für die nationale Filmbehörde Ancine eine Reihe von „Filtern“ einzuführen, um die Art der für eine staatliche Förderung ausgewählten Filme zu beeinflussen. Einer dieser Filter zielt auf eine Bevorzugung von Filmen über brasilianische Heldengeschichten ab. Die Förderentscheidung zugunsten von MATO SECO EM CHAMAS (Dry Ground Burning)  fiel noch vor diesen behördlichen Neuregelungen. Der neue Spielfilm unter der gemeinsamen Regie von Adirley Queirós (ERA UMA VEZ BRASÍLIA, 2017) und Joana Pimenta (die hier nach einer Reihe experimenteller Kurzfilme ihr Spielfilmdebüt als Kamerafrau gibt) ist ein kühnes Porträt über Frauen auf der Suche nach Lebensentwürfen außerhalb des Mainstreams. Damit entspricht er sicherlich nicht dem, was Bolsonaro mit seinen Geschichten über „nationale Helden“ im Sinn hatte. Was jedoch nicht bedeutet, dass es an Mut und Integrität mangelt in diesem Narrativ über die lokale Legende von der Chitara – der Königin der Quebrada, des Viertels, wie es im bekannten Song heißt  – und ihren Anhängerinnen, die sich in der kriminellen Unterwelt von Sol Nascente einen Namen gemacht haben. Der Stadtteil in einem Außenbezirk von Ceilândia, einer Satellitenstadt von Brasília, war bereits Schauplatz der beiden Vorgängerfilme von Queirós.

Familienangelegenheiten

In zahlreichen Einstellungen schwelgen Chitara (Joana Darc Furtado) und ihre Schwester Léa (Léa Alves) in Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. In fiktionalisierten Versionen ihrer selbst spielen sie in diesem Film Schwestern mit unterschiedlichen Müttern, der berühmte Lasqueira ist ihr Vater, „der meistgefürchtete Verbrecher von Ceilândia“. Sie blicken zurück auf sein Leben, seine Machenschaften und seine Abenteuer mit einer Mischung aus Stolz und Melancholie und dem Bewusstsein, dass nun sie es sind, die die Familienfackel tragen. Chitara betreibt einen illegalen Bohrturm und fordert die gerade aus dem Gefängnis entlassene Léa auf, sich ihrem frauengeführten Business anzuschließen. Léa dagegen träumt davon, eines Tages ein Bordell zu eröffnen, und witzelt darüber, ihre potenziellen Mitarbeiterinnen selbst vorher testen zu müssen. Das gemeinsame Arbeiten und Leben gibt ihnen Macht und stärkt ihren Zusammenhalt als Schwestern. Sie erkennen schließlich, dass es der Traum ihres Vaters war, sie eines Tages zusammenzubringen. Auch in Szenen außerhalb der Welt der Haftanstalten ist das Schreckgespenst des Gefängnisses allgegenwärtig, vor allem für Léa, deren regelmäßige Rückkehr in den Strafvollzug dem Film eine zyklische Struktur gibt.

Auch in Szenen außerhalb der Welt der Haftanstalten ist das Schreckgespenst des Gefängnisses allgegenwärtig, vor allem für Léa, deren regelmäßige Rückkehr in den Strafvollzug dem Film eine zyklische Struktur gibt

Andere Frauen im Kollektiv hängen ihren eigenen Träumen nach. Andreia (Andreia Vieira, die schon in ERA UMA VEZ BRASÍLIA eine fiktionaliserte Version ihrer selbst spielte) bewirbt sich mit ihrer eigenen Partei, der People Prison Party, als stellvertretende Kandidatin für Sol Nascente. Sie will das Abwassersystem der Stadt in Ordnung bringen und Volkshochschulen und lokale Krankenhäuser bauen. Außerdem will sie Mototaxis legalisieren, die städtische Ausgangssperre ab 21 Uhr aufheben und Partys entkriminalisieren. Andrea lässt sich rappend auf der Ladefläche ihres auffälligen Wahlkampf-Lasters gemeinsam mit tanzenden und jubelnden Frauen umherfahren. Damit positioniert sie sich – und die Menschen, die sie vertritt – trotzig in Opposition zu den unterdrückerischen Ideologien und Systemen, die die Welt um sie herum erfüllen.

Verbrannte Erde

MATO SECO EM CHAMAS zeigt die Widersprüche zwischen Legalität und Illegalität, die Sol Nascente geprägt haben. Wo einst ein illegal betriebener Bohrturm einer Gruppe von Frauen zum Machterhalt diente und Familien ernährte, befindet sich heute ein staatliches Gefängnis, für dessen Bau, wie im Film zu sehen ist, Insass*innen zu einem Hungerlohn verpflichtet wurden. Wie in den jüngsten Filmen des brasilianischen Regisseurs Kleber Mendonça Filho wird hier versucht, eine ganz eigene Form der Justiz zu entwickeln und durchzusetzen. Doch der Unterschied besteht darin, dass hier der zeitweilige Ruhm nicht in einer Form zu sehen ist, die als typisches Hollywood „Happy End“ durchgehen könnte. Er wird vielmehr in einer dystopisch-apokalyptischen Traumlandschaft verortet, die trotz allem stark in der Realität verhaftet ist. Die Zeit in der Haftanstalt ist entweder eine nahe Erinnerung oder sie liegt in greifbarer Nähe. Es gibt praktisch kein Entrinnen aus dem Gefängnis, das das Schicksal zu vieler ehemaliger Insass*innen in einem System bestimmt, das wirtschaftlich auf seinen Fortbestand angewiesen ist. Im Zusammenhang mit Bolsonaros Brasilien und nach einem Jahr, in dem sich das größte Gefängnismassaker in der jüngsten Geschichte Lateinamerikas (in Ecuador) ereignete, ist dieser Film ausgesprochen relevant, zeitgemäß und notwendig. Die Frage lautet, was das Kino, wenn überhaupt, für Léa tun kann?

Queirós und Pimenta könnten argumentieren, dass das Kino eine alternative, spekulative Form des Lebens verkörpert. Und dass die Schaffung von (Anti-)Helden und (Anti-)Legenden aus den Favelas als Mittel der Ermächtigung dient. Eine solche Geste geht auf die Tradition von Jean Rouchs MOI, UN NEGRE (1958) zurück, in dem junge Nigerianer*innen, die auf der Suche nach Arbeit an die Elfenbeinkünste migriert sind, fiktionalisierte Versionen ihrer Geschichten schreiben und inszenieren. Auf ähnliche Weise erhalten Frauen am Rande der brasilianischen Gesellschaft – die vielleicht sogar selbst einmal im Gefängnis saßen – in MATO SECO EM CHAMAS die Gelegenheit, Protagonistinnen eines Films zu sein, der weltweit auf der Leinwand zu sehen sein wird. Doch die Frage könnte auch lauten, was das Kino für all diejenigen tun kann, die die Chitaras und Léas in ihrer Umgebung nicht sehen können oder nicht sehen wollen? Immerhin scheint alles darauf hinzudeuten, dass Chitara, Léa und Andreia auch allein zurechtkommen. Sie benötigen keine Form der filmischen Repräsentation, um „errettet“ zu werden. Möglicherweise könnte dieser Film die Vorurteile der Menschen bei den Pro-Bolsonaro-Kundgebungen, die wir im Film sehen, hinterfragen oder ihnen die Augen öffnen – sofern sie den Film überhaupt zu sehen bekommen. In diesem Fall würde sich allerdings sofort die nächste Frage stellen, nämlich welche Perspektive sie dazu einnehmen wollen.

MATO SECO EM CHAMAS nimmt das Publikum mit auf eine Reise in das Herz von Sol Nascente. Der Film ist eine Geschichte über Frauen, Liebe, Stärke und Durchhaltevermögen. Er erzählt auch von ständiger Überwachung und davon, wie es ist, wenn das Schicksal gegen dich ist, wenn dich am Ende eine Zelle – oder der Tod oder das Verschwinden – erwarten. Und wie trotz allem das Leben weitergeht, die Familie weiter besteht, die Liebe nicht endet und die Geschichten immer weiter erzählt werden. Und deshalb lebt auch das Kino trotz oder gerade wegen alledem weiter.

Libertad Gills ist Filmemacherin, Journalistin und Lehrerin aus Guayaquil, Ecuador. 

Übersetzung: Kathrin Hadeler

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