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Über den Schreibprozess

Mein Vater starb 2010. Aus Sorge, dass seine Kinder Zeit und Geld für ein Begräbnis nach alter Tradition verschwenden könnten, wünschte er sich eine Einäscherung. Diesen Wunsch erfüllten wir ihm jedoch nicht und ließen ihn nach alter Tradition beisetzen. Auf seiner Beerdigung machte ich eine spirituelle Erfahrung. Ich spürte, dass er mit dem Ablauf zufrieden war. Dieses persönliche Erlebnis hat mich emotional berührt und diese Geschichte geprägt.

Unsere Figuren leben in einer von Schuldgefühlen und Kummer geplagten Welt, einer Welt voller brüchiger Beziehungen, in der die Menschen in ihrer unendlichen Einsamkeit einer trügerischen Spiritualität anhängen. Ich habe mehrere Versionen des Drehbuchs in verschiedenen Erzähltechniken geschrieben, den Kern der Geschichte jedoch unberührt gelassen. Meine Schreibphase habe ich erst beendet, als es mir gelungen ist, die Geschichte in drei Teilen zu erzählen, die jeweils ein bestimmtes Thema behandeln:

Teil 1: Abschied. Ich spreche über den Tod und den zentralen Kampf zwischen Mensch und Tod, vor allem den Verfall des Körpers.

Teil 2: Verabschiedung. Ich stelle eine emotionale Verbindung zwischen den Menschen und der Welt nach dem Tod her. Das Jenseits habe ich bewusst als schön, bewegungslos und frei von Gefahren, Dämonen oder bösen Geistern beschrieben. Im Diesseits vollzieht sich der zentrale Kampf im Inneren jedes Einzelnen mit der eigenen Angst, der Einsamkeit oder mit Schuldgefühlen.

Teil 3: Diesseits. Wo die Figuren leben oder gelebt haben. Die Konflikte zwischen ihnen haben zur Selbstzerstörung geführt. Und so ist das Leben allmählich dahingeschwunden. Außerdem wollte ich vom Austausch in der Natur erzählen.

Die filmische Sprache ist die Summe zahlreicher Elemente: magischer Realismus, Symbolismus, Konventionalismus, soziale und spirituelle Realität sowie traditionelle und kulturelle Merkmale der Menschen in Nordvietnam.

Über die Regiearbeit

Ich habe keine akademische Ausbildung als Regisseurin oder Cutterin. Über die Theorie der Regiearbeit oder des Filmschnitts weiß ich nichts. Meine Erzählweise wurde von meinen Emotionen und meinem Rhythmusgefühl bestimmt: dem Tempo der Entwicklung von Figuren, den szenischen Abläufen und dem Rhythmus des Sounds, wenn er in einem engen Raum fast erstickt oder in einer grenzenlosen, kaputten Welt verdünnt wird. Die Kamera löst sich kaum von der Perspektive des Erzählenden und schwenkt nur hier und da zum Blick einer Figur auf ihren Raum innerhalb des Films. Mit dem Wechsel der Geschwindigkeiten und Längen der Szenen sollte ein Rhythmus geschaffen werden, der Einsamkeit, Trauer und Orientierungslosigkeit Ausdruck verleiht.

Es gibt zwar keine direkten Dialoge oder direkten Verbindungen zwischen den Figuren, doch durch ihre relative Position in den Szenen – wie sie sich innerhalb des Bildes bewegen und wie weit sie von dessen Rändern entfernt sind – können wir fühlen, wie sich die einzelnen Beziehungen verstärken oder abgeschwächt werden.

Es gibt zwar keine direkten Dialoge oder direkten Verbindungen zwischen den Figuren, doch durch ihre relative Position in den Szenen – wie sie sich innerhalb Bildes bewegen und wie weit sie von dessen Rändern entfernt sind – können wir fühlen, wie sich die einzelnen Beziehungen verstärken oder abgeschwächt werden.

Das ländliche Vietnam bildet mit seinen trostlosen verlassenen Häusern und Bildern, die unsichtbare Blicke wiedergeben, einen Kontrast zum Trubel in der übervollen Stadt mit ihren hohen Gebäuden und unzähligen Gefahren. In Kombination mit kontrastierenden Sounds – Störgeräuschen aus einem Radio, der Stille eines verlassenen Hauses, den Lauten von Tieren, dem Schweigen eines Menschen, dem Lärm auf einer Baustelle und dem Klang eines Trauergesangs – lassen diese Elemente ein gedämpftes, schmerzliches Gefühl entstehen.

Bei der Figur des Herrn Tưởng habe ich auf Körperbewegungen weitgehend verzichtet. Nur sein Bewusstsein bewegt sich durch die einzelnen Standbilder. Auch sein Inneres ist still, seine Figur taucht an vielen Schauplätzen des Films unvermittelt auf. Die Figur der Mộc Miên habe ich so angelegt, dass sie stärker von ihrem sexuellen Verlangen und ihrem Wunsch, der Einsamkeit und Langeweile zu entkommen, getrieben wird. Die Geschichte erzählt auch von zwei Frauen im selben Alter: Thi and Mễ. Eine von ihnen stirbt zu Beginn der Geschichte, die andere lebt in Erwartung ihres eigenen Todes. Bei beiden Figuren habe ich weitgehend auf Nahaufnahmen oder Frontalansichten verzichtet, um ein Gefühl der Distanz und Trennung vom normalen Leben zu erzeugen. In der wunderschönen und poetischen Szene aus dem Jenseits habe ich vor allem auf Bewegungen zwischen den Einstellungen gesetzt, die sich wie in unseren Gedanken vermischen und wieder verschwinden.

Das Hauptthema lässt sich mit Hilfe der Trauermusik beschreiben: Der traditionelle Rudergesang „trèo đò“ bei Bestattungen in Nordvietnam soll die Seelen der gerade Verstorbenen daran erinnern, welchen Dingen sie aus dem Weg gehen sollten, und sie ins Jenseits führen. Trauersänger springen für Menschen ein, die nicht über die körperliche oder emotionale Verfassung verfügen oder bei der Bestattung nicht anwesend sein können, um selbst um die verstorbene Person zu weinen. Sie stimmen einen ganz eigenen, in der Regel erschütternden und düsteren Trauergesang an.

Die Farbgebung der Häuser und der Kleidung der Figuren: Figuren aus der Stadt tragen die Farben Zement, Smog und Trauerschwarz, wohingegen Figuren vom Land in einem besonderen Gelbton gekleidet sind – mit dieser Farbe streichen die Menschen in Nordvietnam ihre Häuser vor dem Neujahrsfest oder einer Hochzeit. Sie steht symbolisch für eine reiche Ernte und für das Glück und die Freude im Leben der Bauern, wenn Reis oder Mais ihre Felder im goldenen Glanz erstrahlen lassen.

Die Verwendung von Liedern: Das Lied „Giọt mưa thu“ (Ein Regentropfen im Herbst) von Đặng Thế Phong erzählt die Geschichte vom Kuhhirten und der Weberin. In der Sage soll der Kuhhirte die Kühe des Jadekaisers hüten. Doch er verliebt sich in die Weberin – eine der Töchter des Kaisers – und vernachlässigt seine Pflichten. Daraufhin trampelt die Kuhherde in den Palast des Jadekaisers. Ganz verzaubert vom Flötenspiel des Kuhhirten, vergisst das Webermädchen ihre Webarbeit. Der Jadekaiser ist außer sich und bestraft die Liebenden, indem er sie voneinander trennt und zu einem Leben am jeweils anderen Ende der Milchstraße zwingt. Dann jedoch lässt sich der Jadekaiser von ihrer Liebe erweichen und erlaubt ihnen, sich einmal im Jahr am 7. Juli des Mondkalenders zu treffen. Bei jeder neuen Trennung sind die beiden Liebenden untröstlich, und ihre Tränen benetzen die Erde in einem endlosen Regen, dem so genannten „mưa ngâu“. Der 7. Juli ist als Todestag ein wichtiger Zeitpunkt im Film. Das alte Sprichwort in den Dialogen erzählt von dem „Vermächtnis der Schuld“ in den Beziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau, zwischen Kindern und Eltern und zwischen den Menschen untereinander. Die Welt der Figuren des Films ist eine Welt des tiefen Schmerzes, der sich über das menschliche Bewusstsein legt und über die Brüche in den traurigen und eingestaubten Beziehungen aus Schutt und Asche, aus Beton und Krematorium.

Symbole und Motive

Der Film arbeitet mit einem System von Symbolen: Betel- und Arekanüsse, Zedrachholz, Trauerschal, Trauerblumen und -farben. Außerdem werden alte Sprichwörter in die Dialoge zwischen den Figuren eingeflochten, um das Schicksals-Thema in den verschiedenen Beziehungen des Films zu behandeln.

Auch wenn ich mit fiktionalen Elementen arbeite, habe ich nichts erfunden. Ich versuche, eine unsichtbare, magische und spirituelle Welt zu schaffen, um die grausame Realität darzustellen, die die Figuren verlieren und anschließend anbeten wollen.

Auch wenn ich mit fiktionalen Elementen arbeite, habe ich nichts erfunden. Ich versuche, eine unsichtbare, magische und spirituelle Welt zu schaffen, um die grausame Realität darzustellen, die die Figuren verlieren und anschließend anbeten wollen.

Das Thema der Geschichte wird über die Requisiten im Film beschrieben: In Hanoi aufgenommene Hochzeitsfotos finden sich im verlassenen Haus wieder. Betel- und Arekanüsse stehen für das Verhältnis zwischen Eheleuten. Das Gebet am Altar mit Räucherpapier im Jenseits vermittelt eine Botschaft über die Beziehungen zwischen Lebenden und Toten und die Unvollkommenheit des menschlichen Daseins auf der Suche nach dem perfekten Leben. Der surreale Garten im Jenseits schlägt seine Wurzeln auf einem großen weißen Tuch, das mit Trauerschals geschmückt die menschliche Seele enthüllen soll. Ein altes Räuchergefäß ist in allen Familien der heiligste Gegenstand; viele Menschen mögen fortgehen oder aus dem Leben scheiden, doch das Gefäß wird von Generation zu Generation weitergereicht. In diesem Film reist es vom Land in die Stadt.

Die Geschichte wird auch über die Lichtverhältnisse erzählt, die die Position der Figuren innerhalb des Films bestimmen. Insbesondere über die natürliche Lichtquelle bei Sonnenuntergang: Mộc Miên gräbt des Grab ihres Ehemanns, Tho das Grab für Mễ, und das Leben von Mộc Miên und Herrn Tưởng endet bei Sonnenuntergang. In diesem Moment weicht das Leben aus den Menschen. Die Arrangements in den Räumen der lebenden Figuren nutzen eine schwache Lichtquelle, die gegen die Intensität des Schwarz gesetzt wird.

Darüber hinaus werden kleinere Nebengeschichten eingeflochten: Mộc Miên mit dem Schwein in der sengenden Sonne, Sohn „Coffin“ und sein Heiratswunsch, My Hanh, die in ihrem neuen Haus glücklich ist, und die Wahrsagerinnen mit ihren spirituellen Prophezeiungen. Auch sehen wir Weissagungen durch Betel- und Arekanüsse, die im Widerspruch zur Instabilität und zum Verlust des Glaubens in der Welt der Lebenden stehen.

Kim Quy Bui

Übersetzung: Kathrin Hadeler

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