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Karin Schiefer: Was am Oeuvre der Maria Lassnig hat Ihr filmisches Interesse wachgerufen?

Anja Salomonowitz: Die Farben. Ich habe ihre Bilder in der Sammlung Essl in Klosterneuburg oder in Ausstellungen in Wien oder München gesehen. Diese Bilder sind so inspirierend, die Grellheit und die Ausdruckskraft der Farben so intensiv. Anfangs sagte ich mir, Farben allein sind zu wenig als Ausgangspunkt für einen Film. Später erst habe ich erkannt, dass Farben ein mehr als treffender Ausgangspunkt sein können.

KS: Lassnigs Biografin Natalie Lettner sagt: „Die Biografie von Maria Lassnig ist die Geschichte einer Selbstermächtigung“. Waren die Lebensgeschichte kombiniert mit den Farben die Basis für die Suche nach einer filmischen Form für etwas, das mehr als eine Biografie ist?

AS: Natürlich kam irgendwann die Lebensgeschichte ins Spiel. Lassnigs Biografe ist tatsächlich die Geschichte einer Selbstermächtigung. Ihr Leben war bestimmt vom Ringen um Anerkennung in der männlichen Kunstwelt. Ein anderer prägender Aspekt ist ihr später Erfolg. Lassnig hat den Ruhm erlangt, den sie sich erträumt hat, sie hat die gläserne Decke gesprengt, aber sie hat es nicht mehr gut wahrnehmen können, und den Reichtum, der ihr daraus erwachsen ist, genießen können – sicher auch gar nicht wollen. Das spartanische Leben entsprach ihrem Künstlerideal. Sie hat sich über die Jahrzehnte an diese mageren Lebensumstände gewohnt. Als es dann jede Menge Ausstellungen ihr zu Ehren gab, hat sie sich oft furchtbar schlecht benommen. Das war auch ein Auswuchs dessen, dass sie es so spät nicht mehr glauben konnte, was endlich eingetreten war. Sie hat auch immer, wenn sie es wo gerade schaffte, Fuß zu fassen, wieder die Flucht ergriffen. So war sie in Paris, in Berlin und in New York.

Ich wollte, dass die Zeit aufgehoben wird, weil das eine Übersetzung dafür ist, wie die Seele durch die Zeiten morpht und schlängelt

KS: Was hat Sie grundsätzlich dazu geführt, sich mit einer Künstlerin auseinanderzusetzen?

AS: Ich habe bereits 2013 an diesem Projekt zu arbeiten begonnen. Zunächst wollte ich das klassische Künstlerportrait – das sage ich absichtlich in der männlichen Form – das bei Ausstellungen läuft, hinterfragen. In der Regel sieht es so aus, dass ein weißer, älterer Künstlerfürst vor der Kamera ein Interview gibt. Als Reaktion darauf wollte ich über den Kunstmarkt und seine Mechanismen reflektieren. Ich habe mir viele Künstlerinnen angeschaut, bei Maria Lassnig bin ich hängen geblieben. Ich hatte zunächst die Idee, nur mit einem Kind zu arbeiten; das Kind sollte die Lassnig spielen und nur ihr Umfeld sollte älter werden. Dieses Konzept ging aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr auf. Ich hatte schon Unmengen an Leuten aus der Kunstwelt interviewt, die mir sehr witzige Geschichten über Maria Lassnig erzählt hatten. Ich plante dann, einen Dokumentarfilm zu machen, wo sie alle vorkommen, schließlich bin ich aber doch bei der erzählerischen Form geblieben.

KS: Anstatt eines Kindes verkörpert nun eine Schauspielerin alle Lebensphasen der Maria Lassnig, ohne dass durch Maske sichtbar gemacht wird, wie alt sie ist. Die Grundidee, die Zeit aufzuheben, ist also geblieben.

AS: Ich wollte, dass die Zeit aufgehoben wird, weil das eine Übersetzung dafür ist, wie die Seele durch die Zeiten morpht und schlängelt; andererseits ist es so, dass Erinnerungen und Gefühle ja in keiner Zeit verankert sind. Indem ich ständig Zeitsprünge mache, fällt alles aus der Zeit heraus; es geht um einen inneren Zustand und nicht um die Verortung davon. Für mich ist dieser Aspekt auch der spielfilmhafteste in MIT EINEM TIGER SCHLAFEN. Ich habe versucht, diese sphärische Ebene, wo man sich ins Unbewusste begibt, herzustellen, weil es die Sphäre ist, in der sich Maria Lassnig so viel befunden hat. Man kann in ihren Tagebüchern nachlesen und spürt es in den Bildern, dass sie sich in einen Bewusstseinsstrom begibt und darin versucht, einen Sinn zu finden.

Im Moment, wo wir gedreht haben, war Birgit Minichmayr für mich Maria Lassnig.

KS: Wie fiel die Wahl auf Birgit Minichmayr, die die Künstlerin in allen Lebensphasen darstellt?

AS: Da war keine Wahl, das war einfach klar. Birgit Minichmayr wurde anlässlich eines Symposions in der Albertina eingeladen, Auszüge aus Lassnigs Tagebuch zu lesen. Als ich sie lesen gehört habe, dachte ich einfach „Die ist es.“ Das Drehbuch war damals schon so angelegt, dass eine Person alles spielt. Birgit hat sofort zugesagt. Im Moment, wo wir gedreht haben, war Birgit Minichmayr für mich Maria Lassnig. Oder sagen wir: unsere Interpretation von Maria Lassnig. Sie hat es perfekt umgesetzt.

KS: Sie steigen auch mit anderen Elementen immer wieder aus der linearen und faktenbasierten Erzählung aus. Durchkreuzen Sie bewusst formale Konventionen, um auf den hybriden Charakter einer biografischen Erzählung zu verweisen?

AS: Das war mir auf alle Fälle ein Anliegen. Ich wollte damit offenlegen, dass die Sicht auf eine Künstlerpersönlichkeit immer eine Interpretation ist. Eine Biografie immer eine Interpretation bleibt. Beim Casting war es mir wichtig, auch Leute zu nehmen, die sich selbst spielen oder aus dem Umfeld kommen, das sie darstellen. Der Kurator Diethard Leopold spielt einen Museumsdirektor. Die Fotografin Elfie Semotan spielt sich selbst in exakt der Szene, die sie mir im Recherche-Interview erzählt hat. Vieles aus den Interviews wurde aber im Schnitt weggelassen, weil es zu „wach“ war für den unbewussten Zustand, in dem der Film sich bewegt. Die Ameisen, die Lassnigs Ausstellungsmappe heimtragen, gehören zu ihrer unbewussten Welt. Sie hat sich immer viel mit Tieren beschäftigt und hatte in gewisser Weise das Gefühl, der tierischen Welt näher zu sein als der menschlichen.

Es ging mir darum, prägnante Bilder zu finden, die repräsentativ ihr Werk beschreiben

KS: Ging es Ihnen auch darum, an Lassnigs Farb-und Körperempfinden heranzukommen?

AS: Man hat mir erzählt, dass die Lassnig in der Früh in ihr Atelier gegangen ist, sich hingesetzt und gewartet hat, bis das Gefühl kam, das sie später auf die Leinwand übersetzt hat. Sie hat sich hineingespürt. Sie sagte zum Beispiel, dass der Umstand, dass sie sich auf vielen Bildern ohne Haare darstellt, damit zu tun hat, dass sie die Haare im Moment des Malens nicht spürt. Eine Wange kann rot sein, weil ihr heiß war. Sie hat den Farben Namen gegeben. Es gibt Verwesungsfarben, Todesfarben, Eifersuchtsfarben. Wenn sie auf einem Sessel sitzt, dann stellt sie die Frage, wo der Sessel anfängt und die Haut aufhört. Was ist in diesem kleinen Zwischenraum zwischen Haut und Sessel? Frisst sich der Sessel in den Körper oder gehen die Sitzbeinhöcker nach unten? Es geht bei ihr um minimale Wahrnehmungen. Sie hat stundenlang gewartet, bis das kommt und dann relativ schnell gemalt. Das Bild selbst entstand in wenigen Stunden. Maria Lassnig hat unglaublich viele Bilder gemalt.

KS: Wie haben Sie angesichts des großen Umfangs des Werks die Bilder für den Film ausgewählt?

AS: Wir haben mit der Maria-Lassnig-Stiftung zusammengearbeitet, von der wir die Rechte für die Verwendung der Bilder bekommen haben. Natürlich haben wir nicht mit den echten Bildern drehen können. Die Auswahl habe ich nach zwei Kriterien getroffen: Es ging mir darum, prägnante Bilder zu finden, die repräsentativ ihr Werk beschreiben, andererseits habe ich mich auf einer rein visuellen Ebene von den Farben leiten lassen. In New York hat sie viel türkis gemalt, daher wurde die gesamte New-York-Episode von uns in Türkis getaucht. Von der Ausstattung her war unsere Idee, dass grundsätzlich alles weiß ist – schmuddelig-weiß wie es ihre Ateliers oft waren oder hochglanz-weiß, wie ein Galerieraum oder ein Ausstellungskatalog. Über die Bilder oder die Ausstattungsgegenstände kommen die Farben wieder ins Filmbild – ein blaues Telefon, ein rosa Sessel. Die Kostümbildnerin Tanja Hausner und die Setdesigner Martin Reiter mit Andreas Ertl haben extrem gut zusammengearbeitet.

KS: Warum haben Sie das Bild Mit einem Tiger schlafen als Titel ausgesucht?

AS: Weil es für mich so etwas heißt, wie „mit der Welt raufen“. Mit einem Tiger schlafen steht für mich für das, was sie gemacht hat: sich abquälen, struggeln, eben: raufen mit der Welt. Es kam aber auch die Interpretation auf, dass sie selbst der Tiger ist. Diese Sicht gefällt mir auch sehr gut. Der Titel ist für mich wie ein inneres Bild ihrer Gefühlswelt.

Sie wollte nicht wegen ihres Frau-Seins wahrgenommen werden, sondern wegen ihrer Kunst.

KS: Sie mag sich abgequält haben, sie hat aber auch durch und durch für die Kunst gelebt und sich in diesem Sinne auch selbst verwirklicht. War da nie eine Zufriedenheit mit sich selbst?

AS: Sie hatte nicht nur das Gefühl, dass sie keine Kinder haben kann, weil sie sonst nicht mehr zur Kunst kommt. Sie spürte auch, dass die Männer sie an der Kunst hindern würden. Sie war als junge Frau umschwärmt und hatte sehr viele Liebschaften. Aber sie ist immer wieder enttäuscht worden und hat irgendwann beschlossen, alleine zu bleiben.

Zufriedenheit gab es schon. Jedes Mal, wenn sie ein Bild fertig gemalt hatte, sagte sie, war sie zufrieden, weil in diesem Moment das Gefühl auf dem Bild und aus ihr draußen war.

Lassnig wollte mit den großen männlichen Kollegen verglichen werden. Sie hat sich mit Munch, van Gogh und Velázquez in einer Traditionskette gesehen. Sie wollte auch immer als Maler bezeichnet werden. Sie wollte nicht wegen ihres Frau-Seins wahrgenommen werden, sondern wegen ihrer Kunst. Trotzdem hatte sie eine große Vorreiterrolle und emanzipatorische Wirkung auf viele Künstlerinnen nach ihr, indem sie es geschafft hat, so weit zu kommen. Ungewollt feministisch sozusagen. Sie hat es geschafft, die teuerste österreichische Künstlerin zu werden.

KS: Was hat es für die Montage bedeutet, mit der aufgehobenen Zeit umzugehen?

AS: Joana Scrinzi und ich haben mit großen Pausen mehr als ein Jahr am Film geschnitten. Das Drehbuch hat eine Abfolge vorgegeben, die im Schnitt nicht eingehalten werden musste. Wir haben dann lange nach der Form gesucht, die das Versinken in Lassnigs Bewusstseinssphäre und unseren Umgang mit dem Alter ermöglicht. Im Endeffekt sind wir wieder bei einer mehr oder weniger chronologischen Form gelandet. Ich glaube, dass Maria Lassnig den Film, so wie er gemacht ist, lustig finden würde. Ich glaube, es würde ihr gefallen, dass er so anders gemacht ist.

KS: Warum war es Ihnen so wichtig, in dieser unbewussten Sphäre der Künstlerin zu bleiben?

AS: Weil ich denke, dass dort die Kreativität sitzt. Weil die Lassnig da war. Sie hat sich jeden Tag in diesen Zustand begeben. Gnadenlos. Gnadenlos zu sich selbst. Ich glaube, dass es in Lassnigs Kunst-Wollen und Kunst-Machen um eine Überwindung der Sterblichkeit ging. Um eine Form des Unsterblich-Werdens, indem sie sich über ihre Werke veräußert. Im Nachhinein betrachtet geht es in meinem Film eigentlich durchgehend um den Tod und die Überwindung des Todes. Die Erfahrung von Sterblichkeit, das Wollen von Unsterblichkeit und das Bewusstsein, dass alle Zeiten gleichzeitig sind und sich auch verschieben können, sind ständig da.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von AUSTRIAN FILMS.

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