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Ich kann bei meinen Projekten nie genau sagen, wann die gedankliche Vorarbeit dafür anfing. Dass ich schon seit langer Zeit mit inhaftierten Frauen arbeiten wollte, weiß ich aber noch. Ich war oft als Besucherin in dem Frauengefängnis in Ezeiza und erinnere mich, dass das Gefühl, in eine andere Dimension einzutreten, mich sehr bewegt hat. Inhaftierte leben in einem inneren Raum: Es gibt keine freie Natur, keine Stadt, keine Fremden. Für sie ist die Zeit ein Countdown: noch zehn Jahre, drei Jahre, acht Monate, noch ein Tag. Menschen in Haft fühlen sich wie in einer Zeitfalle: Die Vergangenheit kehrt immer wieder und ruft ihnen in Erinnerung, warum sie dort sind, und nie fängt die Zukunft an.

2019 beschloss ich, einen Film- und Theaterworkshop im Gefängnis zu machen. Die Inhaftierten setzten sich darin singend, tanzend und improvisierend mit ihrem Leben auseinander und loteten aus, wie aus diesen realen Geschichten ein Drehbuch oder Theaterskript entstehen könnte. Ursprünglich wollte ich den Film im Gefängnis drehen, mit Frauen, die gerade ihre Haftstrafe verbüßen. Doch dann kam die Pandemie, und niemand von außen durfte mehr in die Haftanstalt (keine Besuche von Angehörigen, keine künstlerischen Aktivitäten, nichts). So kam ich auf die Idee, in der ehemaligen Haftanstalt Caseros zu drehen und mit Frauen zu arbeiten, die kurz zuvor aus der Haft entlassen wurden. Die Entscheidung, den Film außerhalb des Gefängnisses mit Menschen zu machen, die ihre Strafe schon abgesessen haben, war eine wichtige Weichenstellung, denn so konnte ich die Gefängniswelt durch die Erinnerungen der Protagonist*innen rekonstruieren und eine Distanz zu ihrer Alltagswirklichkeit schaffen.

Ich entdeckte Musik und Tanz als perfekte Möglichkeit, die Erinnerungen der Frauen zu erschließen. Auf diese Weise wurde REAS am Ende eine Art Kombination aus Dokumentatarfilm und Musical. Das Genre des Musicals, das randständige Welten traditionell mit virtuosen Darsteller*innen und Tänzer*innen stilisiert und romantisiert, wurde zu einem Medium, um die realen Geschichten einer Gruppe von schauspielerisch oder musikalisch nicht ausgebildeten Menschen zu erzählen und auf eine ungewohnte Art und Weise zum Leuchten zu bringen.

Durch die Songs, in denen die Protagonist*innen ihre Erlebnisse verarbeitet haben, und durch die gemeinsam entwickelten Choreografien wurde das reale Leben in etwas Fiktionales transformiert.

Ich wollte, wenn ich einen Film über ein Frauengefängnis mache, die Stigmatisierung nicht reproduzieren. Durch die Songs, in denen die Protagonist*innen ihre Erlebnisse verarbeitet haben, und durch die gemeinsam entwickelten Choreografien wurde das reale Leben in etwas Fiktionales transformiert. Wir haben verschiedene Genres der Populärkultur genutzt: Von Yoselis Wunsch, einmal nach Paris zu reisen, wird in einem Pop-Song erzählt; das komplexe Verhältnis zwischen Inhaftierten und Justizangestellten wird in einem Cumbia-Lied thematisiert. In jedem musikalischen Moment entfalten sich reale Geschichten und schlagen überraschende Richtungen ein.

Während der Dreharbeiten war ich von der Strategie, mit Musik zu arbeiten, schnell überzeugt, denn ich sah, wie die Protagonist*innen in diesen Gesangs- und Tanzszenen zur Höchstform aufliefen, weil sie ihre traumatischen Erlebnisse in etwas anderes transformieren konnten. In einem Gefängnis zu filmen, war eine bewegende, aufwühlende Erfahrung und machte außerdem großen Spaß. Wir haben ein Konzert gefilmt, das die Protagonist*innen für Familienangehörige und Freunde veranstalteten, und den Gefängnishof in einen Strand verwandelt – mit Sand, Palmen und Sonnenschirmen. Ich wollte mit REAS nicht ein weiteres „Gefängnisdrama“ machen. Mir ging es vor allem um die liebevolle Verbundenheit und das Gemeinschaftsgefühl zwischen cis Frauen und trans Menschen, die sie in einer Sphäre des Eingesperrtseins und der Gewalt am Leben erhalten.

Lola Arias

Übersetzung: Andreas Bredenfeld

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