Direkt zum Seiteninhalt springen

Als ich an der gleichen Institution Professorin werde, an der nicht nur ich, sondern auch meine Mutter und außerdem meine Großmutter studiert haben, fühle ich mich wie eine Figur aus dem Film L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD. Ich schreite durch die altehrwürdigen Hallen und die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Am Ort blicken mir die Ideale in ihrer vermeintlichen Reinform als Skulpturen entgegen, die denkmalpflegerisch konserviert werden: Der männliche Genius, auf sich selbst bezogen, nackt, vor einer verhüllten Gruppe von Frauen stehend – und die kniende, selbstlos ins Nichts starrende Mutter mit ihrem Kind. Ich frage mich: Warum hat meine Großmutter eigentlich aufgehört mit der Kunst? Warum ist sie Hausfrau und Mutter von vier Kindern geworden? Und was hat das alles mit dem nackten, überlebensgroßen Genius an der Wand in der Aula der Kunsthochschule zu tun, der auf die jungen, hoffnungsvollen Studierenden herabblickt – im Begriff, von einer Wolke zu steigen, um seine Ideen zu verkünden?

Und ich? Als ich, die Dritte in der Familie, Professorin werde, scheint alles erreicht: Der auf sich selbst bezogene, nur für sich selbst verantwortliche Genius – das bin ich!

Entlang der jeweils privilegierten Ausgangssituation – welche Frau kommt 1945, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die Idee, Kunst zu studieren? – untersuche ich die jeweiligen Bedingungen der Zeit – und das Kunstverständnis, das mit dieser Zeit verbunden ist. Meine Mutter, ebenfalls privilegiert, versuchte, ihre bürgerliche Herkunft zu negieren – und profitierte gleichzeitig davon. Als Achtundsechzigerin entschied sie, alles anders zu machen; doch auch sie hörte mit dem Kunstschaffen auf, als sie mich und meine Geschwister bekam und ihr Leben als alleinerziehende Lehrerin bestritt. Und ich? Als ich, die Dritte in der Familie, Professorin werde, scheint alles erreicht: Der auf sich selbst bezogene, nur für sich selbst verantwortliche Genius – das bin ich! Doch erst als ich selbst schwanger werde und Kinder bekomme, merke ich, dass ich an eine unsichtbare Grenze gekommen bin. Dass mein Gefühl des Versagens kein persönliches Problem ist, begreife ich erst, als ich diesen Film beginne.

In fünf Jahren Arbeit an diesem Film schälten sich langsam die konkrete Fragestellung und die Form heraus: Wäre es nicht konsequent, das, was so persönlich erscheint, filmisch direkt am Ort der Arbeit anzusiedeln? Das erste Interview mit meiner Großmutter entstand bereits 2012. Spätestens 2019, als mich ein Kollege fragte, was ich in meiner Zeit an der Hochschule eigentlich „geschafft“ habe, wurde mir klar, dass ich diesen Film nun wirklich anfangen muss! Schaffen und kreieren – was hat in dieser Gesellschaft welchen Wert? Das Projekt entstand gemeinsam mit meinem Partner und Vater unserer Kinder, dem Bildgestalter Christoph Rohrscheidt.

Katharina Pethke

ZURÜCK ZUM FILM

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur