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Ich war ein Goldgräberkind

Juli 1996. Ich war gerade mit meinem Grundschulabschluss fertig, als 44 Kilometer von meinem Heimatdorf Koper im Südwesten von Burkina Faso eine Goldmine öffnete. Ich war 13, mein Bruder Salam 15 Jahre alt. Wie viele unserer Freunde machten auch wir uns auf den Weg zur Goldmine. Wir fuhren Fahrrad mit einer Schachtel Zigaretten in der Hand; ich rauchte zum ersten Mal in meinem Leben. Nach einigen Stunden auf der Straße, komplett erschöpft auf unseren Fahrrädern, sahen wir die ersten Hütten der Goldmine. Vor uns breitete sich eine wimmelnde Landschaft aus, eine provisorische Stadt, die auf einer bergigen Landschaft errichtet wurde. Die Geräusche von Mühlen, Motorrädern, Autos und anderen Geräten vermischten sich. Ich hatte noch nie so etwas gesehen. In diesem unwirtlichen Umfeld waren wir unserem eigenen Schicksal überlassen, wie alle Kinder. Unsere Freunde im Dorf rieten uns, immer um Entschuldigung zu bitten: „Wenn euch jemand schlägt, bittet um Vergebung, denn hier geht Macht vor Recht.“

Unsere erste Aufgabe bestand daraus, Steine zu Pulver zu stampfen. Wir hatten aber nicht genug Kraft dafür und schafften nur ein kleines Stück – und das für einen miserablen Lohn. Danach machten wir andere kleine Jobs, die mit dem Goldgraben zusammenhingen: Wasser von der Pumpe holen und verkaufen, im Restaurant auf dem Boden Geschirr spülen, in metertiefen Stollen graben, Steine klein schlagen … In unserer Unschuld fühlte sich dieses harte und gefährliche Umfeld wie Freiheit an, weil wir trotz allem frei entscheiden konnten, was wir machten.

Meistens werden aus Goldgräberkindern auch Goldgräbererwachsene, die von Mine zu Mine gehen, immer auf der Suche nach Reichtum.

Heute, viele Jahre später, bin ich Autor und Regisseur und Promotionsstudent in Jura. Das Leben als Goldgräberkind war ein Teil meines Wegs, aber ich studierte weiter. Mein Bruder hingegen entschied sich, die Schule für einen Goldgräberjob abzubrechen, den er einige Zeit später wieder verließ. Unsere Leben haben zwei sehr andere Wege eingeschlagen, aber wir sind dennoch beide eine Ausnahme; meistens werden aus Goldgräberkindern auch Goldgräbererwachsene, die von Mine zu Mine gehen, immer auf der Suche nach Reichtum. Mich und meinen Bruder machte diese Erfahrung, trotz aller Härten, die wir durchstehen mussten, zu den Menschen, die wir heute sind.

Ich war ein Goldgräberkind, und 22 Jahre später kehrte ich zu einer Goldgrabungsstätte zurück, um von den Leben von Rasmané, Mensah und Dramane zu erzählen, die meine Vergangenheit spiegeln.

Eine Initiationsgeschichte über eine geopferte Jugend

Mit dem Abstand einiger Jahre merke ich, wie stark diese Minengruben in Burkiner Jugendlichen den Wunsch nach Glück und nach einer besseren Zukunft auslösen, einem Glück, dass anscheinend nur durch Gold erreicht werden kann. Indem ich mich auf die Ebene der Kinder begab, entschied ich mich dazu, die Geschichte unbekümmerter Jugendlicher zu erzählen, die davon träumen, ihr eigenes Schicksal zu schmieden, deren Träume aber von einem gewalttätigen System, in dem nur die Verlockung von Profit regiert, zertrümmert werden. Die kindliche Unschuld wandelt sich innerhalb weniger Monate in die Brutalität des Erwachsenenlebens. Wenn sie respektiert werden wollen, haben diese Kinder keine Wahl, außer auf Kosten ihrer Jugend Produkte dieses Systems zu werden. Ihre Köpfe und Körper werden verändert, verseucht vom Goldrausch, wie eine Art zwangsläufiger moralischer Verfall. 

Diese Jugendlichen wissen nicht, wofür Gold genutzt wird, sie verstehen seine Handelswege nicht und sie werden trotzdem zu seinen Opfern und Tag für Tag immer mehr durch die Hoffnung auf Reichtum korrumpiert.

Mit Hilfe von Rasmanés Reise wollte ich von dieser Entwicklung erzählen, die Geschichte einer Unschuld, die für die Hoffnung auf ein besseres Leben geopfert wird. Mein Film ist keine investigative Recherche oder Reportage über Goldgräberei; er ist eine sensibler Dokumentarfilm über den Lebensverlauf dieser Kinder an der Grenze zum Erwachsensein, die im Kontext des ungeregelten Systems der Goldgruben in Burkina Faso erzählt wird.

In einer kapitalistischen Welt wird die Suche nach Reichtum zum Hauptantrieb für Veränderung, sie ist grundlegend für die Hoffnung auf ein besseres Leben, ein verändertes Schicksal. Doch es sind immer die, die ganz unten auf der Leiter stehen, die keine Wahl haben, die groß träumen, die von der Arbeit erdrückt werden, um letztlich als erschöpfte, abgestumpfte Erwachsene wieder ausgespuckt zu werden. Indem ich die Geschichte der Goldminen-Kinder erzähle, wollte ich mich mit ihnen ganz unten auf die Leiter stellen. Ich versuchte also, diese sonst unsichtbaren Erfahrungen zu dokumentieren, um meine Augen nicht vor dem System zu verschließen, das ihre Leben diktiert. Diese Jugendlichen wissen nicht, wofür Gold genutzt wird, sie verstehen seine Handelswege nicht, und sie werden trotzdem zu seinen Opfern und Tag für Tag immer mehr durch die Hoffnung nach Reichtum korrumpiert. Die Minen sind Erwachsenenwelten, Mikrokosmen, die nur der Verlockung Reichtum gewidmet sind und allem delinquenten Verhalten, das damit einhergeht. Auch wenn sie nicht allgegenwärtig sind, sind Gewalt, Drogen und Prostitution dennoch Realität und prägen das Umfeld dieser Kinder.

Gewöhnlich wachsen selbst die Kinder der Goldgräber in den Minen auf, werden auch selber Goldgräber und gründen Familien. Ein Kreislauf wird immer wieder weitergeführt, von einem Ort an den nächsten, immer mit demselben Traum.

Der Tod schwebt über den Menschen und der Natur

An den Goldgräberstätten müssen tausende Kinder wie Erwachsene um ihr Dasein kämpfen. Zu diesem brutalen Leben kommt die Angst vor Unfällen. Diese Goldgräberstätten basieren auf einem immer gefährlicher werdendem Grubensystem. Die Tiefe der Gruben, ihre Instabilität, der Sauerstoffmangel und das Chaos der Sprengungen sind alles Faktoren, die die Kinder andauernd in Lebensgefahr bringen. Jedes Jahr gibt es allein an einem Standort über hundert Todesopfer sowie mehrere hunderte Unfälle. Wenn es einen Vorfall gibt, hört die Arbeit für einen Moment auf, und die Menschen sammeln sich um die Unfallstätte, die Blicke zutiefst verängstigt.

Aus ihrer Perspektive kämpfen meine Figuren mit dem, was sie haben, um vorwärtszukommen, selbst wenn der „Traum vom Gold“ am Ende nur unerreichbare Fantasie war.

Alle sind mindestens einmal dem Tod „entkommen“. Danach bleibt dieses Erlebnis dauerhaft in ihrem Hinterkopf, schleicht durch das Bewusstsein. Dann wird es verdrängt, durch die Anforderungen der Arbeit, der alles übertünchenden Suche nach Reichtum. Um ihre Leben zu verändern, sind sie auch am nächsten Tag dazu bereit, das Schicksal unten in der Grube herauszufordern. Sie versuchen, nicht zu viel darüber nachzudenken, nicht zu viel zu hinterfragen. Doch die Angst bleibt in den Körper eingeschrieben. Sie ist Teil des Prozesses, der ihre Unschuld verdirbt.

Ich wollte die zerstörerische Auswirkung der Goldminen auf die Natur und die Landschaft in metaphorischer Resonanz mit diesem Abbau der Unschuld darstellen. Ständig werden Bäume für die Minenarbeit gefällt. Die grüne Landschaft wird geschliffen, die Erde durchlöchert von den improvisierten Hütten und den vielen Stollen. In den Randbezirken werden die Wasserwege von Chemikalien wie Cyanid, das zur Bearbeitung des Golderzes genutzt wird, verunreinigt. Täglich füllt der Rauch aus den Mühlen die Luft mit einer gräulichen Farbe, ebenso wie die Zigaretten, die Rasmané den ganzen Tag über raucht, seinen Körper schädigen.

Ich wollte in meiner Geschichte visuell Raum für diese Zersetzung der Natur schaffen. Durch die Parallele zwischen der Schädigung der Natur und der der Leben der Kinder können wir sehen, wie zwei wichtige Elemente der Zukunft durch die Minenarbeit geschädigt werden.

Resilienz im Mittelpunkt des Films

Der Film beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen als ein Goldgräberkind. Ich habe nicht versucht noch einen miserabilistischen Film zu machen oder noch einen Film über das Leiden von „armen afrikanischen Kindern“. Was mich an diesem Projekt interessiert, sind diese Jugendlichen, diese noch unvollendeten Wesen. Sie sind Produkt eines Umfelds, das sie prägt, so wie Millionen andere Kinder auf der ganzen Welt. Aus ihrer Perspektive kämpfen meine Figuren mit dem, was sie haben, um vorwärtszukommen, selbst wenn der „Traum vom Gold“ am Ende nur unerreichbare Fantasie war. Hoffnung bleibt die resiliente Kraft, die diese Kindheiten ausmacht. Sich auf die Lebenskraft der Kindheit zu verlassen, sich, wie auch in meinem Fall, selbst neu zu entwerfen – das ist die positive Note dieses Projekts.

Boubacar Sangaré

Übersetzung: Meret Weber

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