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Luigi Pirandellos Drama „Der Mann mit der Blume im Mund” (1922) spielt in einem Bahnhof, in dem ein Mann mit einer unheilbaren Krankheit einem Fremden begegnet. Die Blume im Mundwinkel des Protagonisten ist ein Epitheliom, ein Tumor, der in Pirandellos Zeit den Tod bedeutete. Der Fremde erwartet den Morgenzug, um zurück aufs Land zu fahren, genervt von den kleinen Sorgen und Rückschlägen des Tages in der Stadt. Der Protagonist sitzt in einem Café, dass er jede Nacht besucht, weil es niemals schließt. Er lässt die Zeit vergehen, die ihm noch bleibt. Und mit dem Bewusstsein seines baldigen Todes wächst in ihm ein brennendes Verlangen, das Leben um ihn herum zu beobachten, es zu fühlen. Dabei versetzt er sich mit Hilfe der Unterhaltung mit dem Fremden in die kleinsten Details einer Welt, die er intensiv untersucht, um seinem bevorstehenden Schicksal zu entkommen.

Um das Drama Pirandellos in die Gegenwart zu übertragen, habe ich mir eine zweigeteilte Struktur überlegt, die teils beobachtend dokumentarisch, teils fiktional ist. Der erste Akt springt lustvoll in den rasenden Rhythmus des weltgrößten Blumenmarkts in Aalsmeer, Holland. Dieses ausgedehnte dokumentarische Vorspiel bereitet die Bühne für einen sehr persönlichen zweiten Akt. Der spielt nachts und kulminiert in einem langen Café-Gespräch, das aus Pirandellos Stück übernommen wurde.

„Der Mann mit der Blume im Mund” handelt von Krankheit, real und metaphorisch von der Gewissheit des Todes, die uns dazu zwingt unser Verhältnis mit der Welt der Lebenden zu überdenken, aber genauso von Krankheit als Metapher für den Einfluss des Menschen auf den Planeten, der sowohl Schönheit als Zerstörung bringt. Pirandello schrieb sein Drama kurz nach der Spanischen Grippe. Ich entdeckte es in den neunziger Jahren, und damals wollte ich daraus einen Film über AIDS machen. Ich brauchte 20 Jahre, um das Projekt zu beginnen, und dann hat ihm Covid-19 noch eine andere Dimension gegeben. Aber jedes Mal, wenn die Zeit den Text einzuholen scheint, erlaubt dessen literarische und philosophische Tiefe die aktuellen Nachrichten und Tragödien zu transzendieren. Jenseits von Krankheit und Tod, ist der Film über das Leben.

Éric Baudelaire

Übersetzung: Sven von Reden

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