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In Yolande du Luarts Dokumentarfilm Angela – Portrait of a Revolutionary aus dem Jahr 1971 gibt es eine Szene, in der Angela Davis aus dem Spielfilm La battaglia di Algeri (Schlacht um Algier) zitiert. Das 1966 erschienene Historiendrama in der Regie von Gillo Pontecorvo erzählt von der algerischen Befreiungsbewegung und ihrem Kampf, die französische Kolonialregierung Mitte der 1950er Jahre zu stürzen (Algerien erlangte im Jahr 1962 die Unabhängigkeit). Davis schildert mit den Worten der Schauspieler*innen, wie schwer es ist, den revolutionären Kampf aufrechtzuerhalten. Das fiktive Drehbuch von Pontecorvos Film wird damit Teil von Davis‘ Äußerungen und gelangt in den Bereich des Dokumentarischen und einer anderen Erzählung von Wahrheit und Glaubwürdigkeit. Durch das Zitat, mit dem Davis ihre Gedanken untermauert, legitimiert sie die filmische Aufnahme. Diese Szene, bestehend aus Zitat und Zusammenfügung zeigt, wie sich revolutionäre Bewegungen mithilfe des Kinos verbreiten, wie sie größer werden und sich bekannt machen. La battaglia di Algeri, eine fiktive Darstellung der Revolution (der Film durfte in Frankreich erst fünf Jahre nach seiner Uraufführung gezeigt werden), gibt der Black-Panther-Bewegung Auftrieb, weil sie Gemütsbewegungen und Gefühle im bewaffneten Kampf von unten schildert. Der Film veranschaulicht damit beispielhaft das dekoloniale, affektive Wirken revolutionärer Filme.

Ein Film muss keiner Gegenkultur angehören, um als dekolonial zu gelten. Jeder Film kann politisch agieren. Selbst Publikumshits können in den Augen politisch interessierter Menschen revolutionär sein. Der Wunsch, auf die Filme des Forum-Programms von 1971 zurückzuschauen, verdeutlicht, dass die Grenzen stets verschwimmen. Genau diesen wechselseitigen Übergang von Gegenkultur zu Popkultur untersucht Stuart Hall in seinem 1981 erschienenen Essay „Notes on Deconstructing the Popular”. Hall kritisiert die Idee, eine „authentische, autonome Popkultur“ könne außerhalb von Machtgefügen existieren. Er beanstandet all jene Definitionen von „populär“, die sich auf quantitativ viele Unterstützer beziehen, und lehnt die Verwendung des Begriffs als Euphemismus für „die Massen“ ab. Stattdessen formt Hall eine neue Vorstellung von „populär“ (und damit auch, was das Potenzial zur Gegenkultur hat). Das „Populäre“ ist stets im Wandel begriffen: „Was in diesem Jahr als Symbol oder Slogan radikal war, wird im nächsten Jahr modisch neutralisiert, und im Jahr darauf Gegenstand tiefgreifender kultureller Nostalgie sein.“ Dieser Essay ist eine Übung in kritischer Rückschau. Er greift die Frage auf, wie politisches Kino wirkt oder vielmehr, welchen Beitrag politisches Kino leisten kann. Die deutsche Kultur eignete sich häufig die amerikanische Nachkriegskultur an, um eine Form impotenter positiver Rebellion und alternativer Männlichkeit zu versinnbildlichen.

Das Forum-Programm von 1971 zeigte drei Filme über die Black Panther Party oder mit ihnen verbundene Revolutionär*innen: Angela – Portrait of a Revolutionary (1971), Eldridge Cleaver, Black Panther(William Klein, 1970) und The Murder of Fred Hampton(Howard Alk, 1971). Finden diese Filme Widerhall in zwei Filmen des diesjährigen Forum-Programms, Ouvertures(The Living and the Dead Ensemble, 2020) und Anunciaron tormenta(A Storm Was Coming, Javier Fernández Vázquez, 2020), die sich mit der Revolution in Haiti beziehungsweise einem Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft in Äquatorialguinea befassen? Wie bei Hall liegt mein Interesse auf dem Beitrag des Kinos – wie diese Filme durch ihre Form und ihre Verbreitung unser affektives Verständnis dekolonialer Bewegungen beeinflussen.

Das Schwarze Amerika der 1970er Jahre war komplex – deshalb war die Bewegung auch so bedrohlich für den Status quo der weißen Vorherrschaft. Nach den Morden an Martin Luther King Jr., Malcom X und weiteren Anführern der Schwarzen Gemeinschaften bildeten sich zahlreiche Splittergruppen, die verschiedene Herangehensweisen verfolgten: die marxistische Black-Panther-Bewegung, die für Tierrechte und die Befreiung der Schwarzen eintretende Bewegung MOVE (gegründet von John Africa in Philadelphia im Jahr 1972), die militante Black Liberation Army, die separatistische Republic of New Afrika und viele andere. Jede Gruppe war in ihrem Verständnis und ihrer Haltung zur Schwarzen Revolution einmalig. Die Black-Panther-Filme aus dem Forum-Programm von 1971 weisen eine transatlantische Dimension auf. Man kann die Bürgerrechtsbewegung in den USA nicht betrachten, ohne die Unabhängigkeit von Ghana im Jahr 1957 zu berücksichtigen. Es ist bezeichnend, dass eins der bedeutsamsten Bücher zum Kolonialismus in Afrika, „How Europe Underdeveloped Africa“, 1972 von dem aus Guyana stammenden Historiker Walter Rodney in der Karibik geschrieben worden ist. Die erste Panther-Organisation außerhalb der USA entstand 1968 in Großbritannien. Im Jahr 1971 gab es auch schon Black Panthers in Deutschland. Die „Voice of the Lumpen“ war ein Untergrundmagazin, herausgegeben von unzufriedenen amerikanischen GIs, die die Panther Party unterstützten und ein Ende des Krieges in Vietnam forderten. William Kleins Film zeigt Eldridge Cleaver im algerischen Exil. Er war zum Ersten Panafrikanischen Kulturfestival eingeladen worden (das zweite Festival fand anlässlich des nostalgischen 40. Jubiläums im Jahr 2009 statt). Über dreißig Nationen waren vertreten. Im Film sehen wir unter den Gästen Vertreter*innen vom südafrikanischen ANC, Mosambiks Frelimo, Simbabwes ZAPU, Repräsentant*innen aus Haiti und viele andere.

Der antikoloniale Kampf ist ein in der Diaspora ausgetragener, transatlantischer Kampf, wovon die Verbreitung, der Inhalt und Kontext der Filme zeugen. Durch die Teilnahme an Festivals und die damit verbundene Aufmerksamkeit in der Presse verbreitete sich die Kenntnis von revolutionären Filmen über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Filmkopien wurden in Festivalarchiven aufbewahrt, was einer der Gründe ist, warum das Arsenal heute häufig über die einzigen bekannten Kopien vieler derartiger Filme im Programm verfügt. Der Vertrieb des revolutionären Kinos fördert transnationale Allianzen, globales Bewusstsein und Handeln. Die Filme können auf eine Weise reisen, die Menschen verwehrt ist – das haben die Filmemacher*innen in den 1970er Jahren erkannt. Die fiktionalisierte Darstellung dieser Kämpfe dient den Gruppierungen des revolutionären Publikums als Antrieb.

Filme über Revolutionen, die auf revolutionäre Weise produziert worden sind, können in ihren Verbreitungspraktiken weiterhin neokoloniale Strukturen reproduzieren. Med Hondos Manifest von 1979 „What is Cinema for Us?” warnt vor der Ausformung kolonialer Unternehmen durch Praktiken in Filmvertrieb und Vorführpraxis. Laut Hondo (von dem 1971 zwei Filme im Forum-Programm liefen: Soleil Ô(1967) und Mes voisins(1971)) unterstützen die afrikanischen Zuschauer eine Form der kolonialen Entnahme: „Jedes Jahr werden Millionen von Dollar von unseren Kontinenten ‚geerntet‘, in die Ursprungsländer zurückgeführt, und dann verwendet, um neue Filme zu produzieren, die wieder auf unserer Leinwand landen.“ Er bezieht sich auf ein System, das auf eine spezifische Ausgrenzung hinarbeitet, indem ein Set „kultureller Codes“ aufrechterhalten wird und so afrikanische Zuschauer*innen mitschuldig daran macht, Afrikaner*innen und Araber*innen als „die anderen“ zu entwerfen. Hondo forderte eine Revolution der Produktionsweise von Filmen. Zuschauen ist Arbeit, Filme bewegen sich um uns. Durch die weiße Autorenschaft Schwarzer Geschichten werden politische Absichten in affektiver Form archiviert. Dennoch kann der koloniale Blick durch eine Schwarze Darbietung gestört werden.

Die Mis-en-Scène des revolutionären Kinos ist im Dialog und der Vortragsweise der Protagonist*innen erleb- und hörbar. In dem polyglotten Raum der Proteste reden die Revolutionär*innen in Erwartung ihrer eigenen Übersetzung. Davis hatte einige Zeit in Deutschland an der Universität Frankfurt studiert und arbeitete an ihrer Promotion an der Humboldt-Universität, ehe sie Professorin in Kalifornien wurde (in dem Film wird ihr Rauswurf festgehalten). Die Kadenz der Stimmen von Angela Davis, Eldridge Cleaver und Fred Hampton evoziert eine Ideologie des Internationalismus in Rhythmen. Das lyrische Spiel wird mit einem stakkatohaften Timing gepaart. Die Sprechpausen sind ebenso aussagekräftig wie die Worte dazwischen. Davis, Cleaver und Hampton geben in ihren Selbstgesprächen Zeit und Raum für transnationale Interpretationen. Diegetische Simultanübersetzungen, wie Cleaver sie in Algerien erlebt hat, weisen denselben Rhythmus auf wie Protestgesänge. Sie finden Widerhall in den Rufen und Antworten, wenn Fred Hampton zu den begeisterten Massen in Howard Alks und Mike Grays Film spricht. Das Sing-Sang-Tempo schafft Zeit für heilende Vorstellungen, Zeit für den Hall der Lautsprecher, Zeit für das bunt gemischte Publikum, ihre Übersetzungen außerhalb der Kamera zu flüstern. Angela Davis spricht in du Luarts Film von der Darbietung des Protests. Diese Darbietung einer Protestrede ist unmittelbar zu spüren. Die Kadenz im Tonfall der Schwarzen Stimme wird mit einer revolutionären Dokumentation der Praxis gepaart.

Die Schwarze Darbietung der Revolution ist aufschlussreich. In Kleins Film beobachtet Cleaver, dass Weiße, die gegen den Vietnamkrieg protestieren, genauso schlecht behandelt werden wie Schwarze, die sich für Menschenrechte einsetzen. Agenturbilder geben ein schwarzes und weißes Zeugnis der von Cleaver genannten Gewalt. Diese Protestfilme erleichtern die Aneignung der Schwarzen Taktiken. Die dokumentierten Personen sind sich der Anwesenheit der Kamera und des Festhaltens fürs Archiv äußerst bewusst. Die Begegnungen zwischen Regisseur und Protagonisten, die den Film einrahmen, sind anfangs aggressiv und später nahezu freundlich. Cleaver richtet sich in der Dokumentation mehrfach an die Kamera: Im Bett herumlungernd dreht er sich zur Linse und ruft: „Buh!“ Das Spektrum des stets offenen Kameraauges richtet über Licht und Dunkelheit. Zu Beginn des Films stellt Cleaver die Machtgefälle der Filmsituation in Frage. Vor der Kamera legt er den Prozess offen, der ihn in der unterlegenen Position festhält. Die Macht haben die Leute hinter der Kamera, aber durch Performance kann die Struktur unterbrochen werden, wenn der Schnitt es zulässt. Fred Hamptons rasantes, irreführendes Politikgerede findet auch seinen Platz, indem es Botschaften im Black Slang kodiert und unterminiert. Montage ist wesentlich für die Wahrnehmungssteuerung. Kleins Film endet damit, dass Cleaver ihn nach seiner Meinung fragt. In Wirklichkeit waren wir den ganzen Film hindurch in die Sichtweise des Regisseurs eingeweiht. Drehbuch und Schnitt lagen allein in Kleins Hand (Cleaver wird zusammen mit dem Journalisten Robert Scheer als Mitwirkender erwähnt).

Widerhall im Kino von heute

Jeder Film ist eine Form von Fiktion. Den Inhalt eines Dokumentarfilms als neutrale Informationsquelle zu interpretieren wäre eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Cleavers Revolution geschieht in der Regie von Klein, Davis‘ Proteste werden von du Luart inszeniert, die bewegenden Reden von Fred Hampton werden derart miteinander verwoben, dass sie einen Schwarzen Anführer zeigen, der Alks und Grays Vorstellung von Schwarzer Führung entspricht. Die Kadenz des Schwarzen Protestes wird durch die Schnittentscheidungen der Regisseur*innen unterstützt. Dieses Rhythmisieren der Rede ist Teil der filmischen Sprache der Schwarzen Revolution im Film, eine Qualität, die in zeitgenössischen Werken über politische Dekolonisierungskämpfe zum Ausdruck kommt.

In Anunciaron tormenta zweifeln mündliche Überlieferungen die spanische Darstellung kolonialer Verfolgung des revolutionären Volks der Bubi in Äquatorialguinea an. Die Autor*innen dieser Zeugenaussagen reagieren „allergisch auf Bilder“ und weigern sich, gefilmt zu werden. Die Kadenz ihrer Stimmen, die geduldig gegen die schriftlichen Aufzeichnungen protestieren, ist im kontrollierten Sounddesign greifbar. Nach der Hälfte von Ouvertures führen haitianische Schauspieler*innen eine unaufhaltsame Kadenz einer bedächtigen Mundart auf, die in bedeutungsschwangere Pausen und philosophische Reflektionen eingebettet ist. Der Film dokumentiert die Übersetzung von Édouard Glissants Stück „Monsieur Toussaint“ ins haitianische Kreol für die Ghetto Biennale im Jahr 2017. Geschrieben vom The Living and the Dead Ensemble, einem Zusammenschluss aus haitianischen Schauspieler*innen, die im Film porträtiert werden, sowie den Regisseuren/Produzenten Louis Henderson und Oliver Marboeuf macht dieser europäische Autorenfilm reichlich Gebrauch von der Ästhetik des Dritten Kinos.

In beiden Filmen ist das Archiv ein dominantes Motiv. In Anunciaron tormenta bekommt es seine eigene Schriftart (Courier New), einen Soundtrack (weißes Rauschen) und eine Stimme (Schauspieler*innen zitieren die Archivaufnahme vor der Kamera in einer Studioumgebung). Der visuelle Ausdruck des langsamen Dahinschwindens ins Weiße ist filmische Fürsorge, die behutsame Art, Gewalt zu dokumentieren, ohne sie zu wiederholen. In Ouvertures stellt ein Schwarzer Schauspieler die mühevolle Arbeit im Archivwesen pantomimisch dar, wobei eine Geisterfigur Textauszüge aus dieser Umgebung flüstert. Das Archiv ist ein umständlicher Filmschauplatz zeitgenössischer, dekolonialer Kriegführung. Die Schlacht um Reparationen wird an einem Tisch, im Internet und durch E-Mail-Querschläger, nicht durch Geschosse, ausgetragen.

Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den gegenwärtigen Filmen über Revolution im aktuellen Forum-Programm und den Filmen von 1971. Die älteren revolutionären Filme drückten Protest in der Praxis aus. Sie demonstrierten erlebte Erfahrung des Kampfes gegen institutionalisierte Diskriminierung, und ihnen ist ein Gefühl von Aktualität und Dringlichkeit gemein, eine Gegenwärtigkeit, die die Zeit zu überdauern scheint. Sowohl Anunciaron tormenta als auch Ouvertures blicken auf Revolutionen zurück, die vor Jahrhunderten stattfanden, und die Zeit ist entscheidend für unsere affektiven Reaktionen auf Geschichte. Die Filme leisten einen Beitrag anhand von neuen Zeugnissen, visuellen Tropen und Produktionsmethoden, die Revolution in gegenwärtiger Praxis repräsentieren. Sie zeigen einen Weg, Menschen ihre Macht zurückzugeben – durch den Austausch von Informationen und ein affektives Wiedergeben revolutionärer Geschichten, mit dem Potenzial, durch Festivals populär zu werden.

Karina Griffith ist Künstlerin, Kuratorin und Doktorandin am Institut für Filmwissenschaft der University of Toronto, wo ihre Forschung zu Schwarzer Autorenschaft im deutschen Kino auf Affekttheorien und Konzepte wie Intersektionalität und Kreolisierung trifft. Seit 2018 ist sie Dozentin am Institut für Kunst im Kontext der UdK Berlin.

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