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Eine Regisseurin aus unserem diesjährigen Programm schrieb uns, dass sie von Festivals oft gehört habe, feministische Themen seien Nischenthemen, die für ein großes Publikum nicht interessant sind. Du hast im Berlinale Forum zwei thematisch und formal außergewöhnliche, feministische Filme gezeigt (Anm: Eine flexible Frau, Forum 2010 und Top Girl oder La déformation professionelle, Forum 2014). Welche Rolle hat diese Festivalpräsenz für dich gespielt?

Das ist eine interessante Frage, die es mir auch schwer macht, mich innerhalb der gerade stattfindenden Debatte um die Berlinale zu positionieren, weil die Berlinale entscheidend für meine Filmkarriere gewesen ist. Für einen Film macht es einen großen Unterscheid, ob er auf einem großen Festival gezeigt wird. Dann gibt es z.B. Presse oder Verkäufe.

Und es folgen weitere Festivaleinladungen?

Ja. Die Sichtbarkeit, die ein großes Festival bietet, ist immens wichtig. Eine flexible Frau hat eine ganze Weltreise gemacht. Ich war nicht überall dabei, aber der Film ist rumgekommen, Indien, Kanada, Israel, Cannes. Aber auch im Nachgang des Festivalzyklus wird so Aufmerksamkeit generiert. So z.B. bei Universitäten, wo dann auch über den Film geschrieben wird. Im Moment entdeckt die akademische Szene in den USA den Film. Ich bekomme viele Anfragen, ihn in Seminaren oder auf Symposien zu zeigen. Und das gäbe es alles gar nicht, wenn es nicht vorher so eine Sichtbarkeit gegeben hätte.

Warst du auch mit der Auffassung konfrontiert, dass Feminismus ein Nischenthema ist?

Natürlich. Je feministischer, je experimenteller ein Film ist, desto weniger große Festivals zeigen ihn oder wenn, dann nur in kleinen Nebenreihen. Man ist dann meistens in einer Themenreihe, also „film nouveau“ oder so was halt.
Und ich würde trotzdem sagen, dass es nicht nur daran liegt, dass ein Film feministisch ist. Es gibt ja viele Filme, die sich mit dem Begriff schmücken, die eigentlich einfach nur Frauenfiguren haben, oder Heldinnen, was sie ja nicht gleich zu feministischen Filmen macht. Ganz im Gegenteil, wenn ich jetzt mal Wonder Woman als Beispiel nehme.
Zu viel weibliche Präsenz, weiblich* konnotierte Themen oder Femininität generell bekommen einfach nicht die gleiche Aufmerksamkeit. Und wenn das dann noch aus einer feministischen Perspektive gezeigt wird ...
Das zeigen ja auch die Studien, über die wir jetzt durch Pro Quote Film verfügen. Das ist einfach belegbar. Man muss sich dann fragen, woran liegt das. Denn die Filme selber sind ja durchaus interessant und ich glaube, sie sind es auch für ein Publikum. Deshalb ist die Analyse, woran das liegt, so bedeutsam. Nur dann können adäquate Gegenmaßnahmen entwickelt werden.

Früher wurden auf der Berlinale vom Verband der Filmarbeiterinnen und zeitweilig auch vom Verein Blickpilotin Flyer verteilt „Haben Sie heute schon einen Film von einer Frau gesehen?“. Die Frage nach dem Anteil von Filmen von Frauen im Programm muss man heute immer noch stellen. Du engagierst dich als Filmemacherin bei Pro Quote Film. Welche Erwartungen gibt es im Hinblick auf Festivals?

Im Hinblick auf Festivals gibt es die gleichen Erwartungen wie in allen anderen Bereichen. Wir fordern neben der Quote z.B. auch Genderbudgeting. Gleichstellung muss von Anfang an ein zentraler Bestandteil sein, nicht irgendein ein Gedöns-Thema, oder ein Nebenwiderspruch. Man muss einen Kulturwandel einläuten, sich über Stereotype und rassistische und sexistische Klischees klar werden. Festivalleiter*innen müssen sich stärker bewusst machen, was sie zeigen oder was sie eben auch nicht zeigen. Was ihnen und damit auch ihrem Publikum entgeht. Und neben diesem Kulturwandel fordern wir eine paritätische Besetzung von Gremien. Wobei man natürlich hoffen muss, dass Frauen sich dann auch für Frauen einsetzen. Denn auch in den Köpfen vieler Frauen ist der Gender-Bias tief verankert. Da darf man also nicht zu viel erwarten, aber es wäre ein Anfang für den notwendigen Kulturwandel.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir einen engen Zusammenhang von Arbeitskampf und Kulturwandel sehen. Das sind die zwei Säulen, die sich gegenseitig bedingen. Und im Arbeitskampf geht es einfach auch um Kohle und um Teilhabe.
Es geht um die Hälfte der Gelder, um die Hälfte der Sichtbarkeit, also auch um die Hälfte des Ruhms. Und beim Kulturwandel geht es darum, sich Stereotype vor Augen zu führen und auch darum, im Film die Bildsprache zu verändern. Es fehlen ja nicht nur Geschichten von und über Frauen, es fehlen weibliche Perspektiven, auch weibliche Perspektiven auf Männer und viele Frauenkörper/-alter sind einfach unsichtbar. Und wenn Frauen die Hälfte der Budgets erhalten, dann wird sich dadurch definitiv – trotz Gender-Bias – sukzessive auch die Kultur ändern.
Daher geht es nicht nur um die Sichtbarkeit von Frauen auf der Leinwand, es geht immer auch darum die Bedingungen von Sichtbarkeit zu verändern.
Im Festivalbetrieb kann ich das nicht so einschätzen, aber beim Fernsehen sind z.B. Frauen, also Expertinnen über 50 unsichtbar. Ihre Meinung zählt nicht.  

Diese Diskussion führen wir durchaus auch. Das fängt bei der Besetzung von Auswahlgremien oder Jurys an und endet natürlich bei dem, was wir tatsächlich auswählen und zeigen. Als Festival ist man da aber nicht am Anfang der Nahrungskette, die strukturelle Ungleichheit fängt ja schon vorher an, wenn es ums Geld geht. Wir sehen ja nur die Filme, die entstehen, nicht die, die gar nicht gemacht werden können.
Es gibt bereits ein Ungleichgewicht bei den von Männern und Frauen eingereichten Filmen; bei den Filmen, die wir für das Forum und für Forum Expanded ausgewählt haben, ist der prozentuale Anteil von Regisseurinnen aber immerhin höher als bei den Einreichungen. Dennoch gelingt es uns nicht völlig, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Die Frage würde sich natürlich auch anschließen, was nach dem Festival geschieht, welche Filme in den Verleih kommen, welche verkauft werden.

Ja, absolut. Festivals haben ja auch ein Profil, das sie bedienen wollen. Das Forum steht für diverse Filmsprachen, innovative Perspektiven – da kann man auch feministische Filme erwarten. Aber ihr seid ja auch fernab des Mainstreams. Ich würde mir auch bei den großen Wettbewerben mehr weibliche* Perspektiven wünschen. Die Wettbewerbsreihen der wichtigen internationalen Festivals kommen häufig immer noch ganz ohne Regisseurinnen aus. Das finde ich sehr schade, vor allem für das Publikum, das auf viele schöne Filme verzichten muss. Feminismus muss in den Mainstream!

Es gilt aber auch, je größer ein Film ist, d. h., je größer das Budget, desto geringer ist der Frauenanteil.

Das stimmt. Das bedingt sich halt alles und grundsätzlich muss man immer darauf hinweisen, dass sich die Vorstellungen und Fantasien davon was ein Film sein kann, verändern müssen. Die Regisseurin Helke Sander hat vor 40 Jahren gesagt „Mainstream gleich Malestream“ und das hätte sich inzwischen verändert können, aber das ist nicht so, obwohl ganz viele Frauen im Mainstream mit entscheiden. Aber sie entscheiden offensichtlich gegen sich. Es ist deprimierend, dass es in solchen Positionen so wenig selbstkritisches Bewusstsein gibt, dass man sich stattdessen gegen sich selber entscheidet, um ein bisschen Macht zu haben – wenn ich das jetzt mal so ein bisschen provokant formulieren darf.

Im Kontext von #metoo und #timesup scheint ein Bekenntnis zum Feminismus oder zur Solidarität gerade cooler zu werden und nicht mehr so stigmatisierend zu sein. Lässt sich daraus die Hoffnung ableiten, dass diese Welle auch hilft, die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Filmbranche zu verändern?

Ja, das hoffen wir natürlich, deshalb haben wir ja auch Pro Quote Film gegründet. Jetzt sollen alle anderen Gewerke, über die Regie hinaus, das Thema noch viel tiefer und breiter in die Filmbranche tragen. Das wird auch bestimmt passieren, am Ende stellt sich natürlich die Frage wer entscheidet. Ich muss ehrlich sagen, je länger ich mich mit der Film- und Fernsehbranche beschäftige, desto deutlicher wird, dass es ein schlechter Traum ist, in dem ich mich da als Filmemacherin befinde. Und letzten Endes kann ich nur hoffen, dass sich vieles ändern wird. Aber das muss auch politisch gewollt werden.
Und im Moment stellt sich die Frage, wohin geht’s? Deshalb kann man auch allen linken und progressiven Filmemachern und Regisseuren und Dozenten, also ich meine jetzt ganz konkret den Männern, einfach nur ganz klar sagen, Leute, wenn ihr gegen Gendergerechtigkeit seid, dann seid ihr ganz schnell auf der falschen Seite. Sexismus, Rassismus und Klassismus sind schon immer sehr eng verbunden gewesen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass gerade ein ganz starker Wind von rechts gegen Diversität, gegen die Sichtbarmachung von Sexismus weht und es starke rassistische Strömungen gibt. Ich wünsche mir, dass man sich da deutlich positioniert, dass da mehr passiert, dass die Angst, was zu verlieren nicht so groß ist, sondern dass man gemeinsam daran arbeitet, dass Diversität nicht etwas ist, das plötzlich ganz schnell wieder verschwinden kann.

Gibt es da Solidarität von Männern und wie sieht sie aus?

Ja, natürlich gibt es Solidarität. Unsere Forderungen werden unterschrieben, man unterstützt uns, lädt uns zu Diskussionen ein. Aber man hört auch immer wieder Gegenstimmen. Das Thema ist sehr vielschichtig und genau deshalb unterscheiden wir ja zwischen Arbeitskampf und Kulturwandel. Natürlich können wir das öffentlich rechtliche Fernsehen, das leider das deutsche Kino prägt, nicht vom einen auf den anderen Tag verändern. Deshalb ist es uns erst mal egal, ob eine Regisseurin Rosamunde Pilcher verfilmen will oder nicht, das interessiert uns überhaupt nicht. Letztendlich geht es darum, arbeiten zu können. Aber gleichzeitig wollen wir, dass sich die Frauen-, die Geschlechterbilder und die Geschlechterrollen verändern, andere Erzählweisen möglich werden.
Und wir müssen mit diesen Widersprüchen (Frauen produzieren Filme mit konventionellen Frauenbildern) jonglieren. Ich erwarte von den Kollegen, dass sie diesen Balanceakt erkennen, und sehen, dass wir natürlich viel mehr wollen, als dass Frauen sich im System jetzt auch pudelwohl fühlen. Das ganze System ist ja toxisch, wenn man so will, und das müssen wir verändern, das können wir nur gemeinsam verändern.

A propos Solidarität: der Filmemacher Christoph Hochhäusler hat sich kürzlich in seinem Blog „parallelfilm“ gegen eine Quote ausgesprochen und sie als ideologisches Instrument kritisiert.

Viele Kulturschaffende lehnen eine Quote ab und meinen, Qualität setzt sich schon durch. Qualität ist aber auch ein Herrschaftsbegriff. Von welcher Qualität redet man und wer definiert sie, wer hat die Deutungsmacht? Ich finde es schade, dass diese Idee von Kulturhoheit letzten Endes eine männlich konnotierte ist. Obwohl ich da sehr vorsichtig sein möchte. Das ist eher eine konservative Kulturhoheit. Männlich streiche ich mal. Und ich hatte ja eben schon gesagt, dass man sich entscheiden muss, auf welcher Seite man am Ende steht.

Wir sehen Filme aus aller Welt, an denen auch deutlich wird, um wie viel unterschiedlicher die Arbeitsbedingungen in einem globalen Kontext im Vergleich zu Deutschland, wo es ja auch schon große Unterscheide gibt, sein können. Die Diskussionen stecken ja häufig sehr im Kontext ihres Umfelds, hier Deutschland, fest.

Die Diskussion ist vor allem elitär. Das ist das Deutsche. Das ganze Kulturvolk ist ja wahnsinnig elitär. Und damit muss man sich auch auseinandersetzen. Ich habe in der Film- und Fernsehbranche Leute erlebt, und damit meine ich jetzt explizit nicht Christoph Hochhäusler, die wahnsinnig elitär und borniert sind. Und ich bin wirklich schockiert, mit welcher Borniertheit sie an ihrer Fantasie, was ein Publikum will, festhalten und Entscheidungen treffen. Das ist haarsträubend und es geht für Pro Quote Film letztendlich auch um eine Enthierarchisierung dieses ganzen Systems. Und in dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Deutungshoheit über die Filme. Wer hat sie eigentlich? Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wenn man Emanzipation, oder überhaupt emanzipatorisches Denken wirklich ernst nimmt, dann muss man diese Hierarchien, diese Eliten und diese Borniertheit einfach aufbrechen.

Wenn Quotengegner mit der Qualität argumentieren, die sich einfach durchsetzt, ignorieren sie dabei die Rolle von Lernen, Arbeiten und Erfahrungen machen, für die es in der Filmbranche Geld und Gelegenheit braucht.
Siehst du einen Widerspruch, auch über Filme und die eigene Haltung zu diskutieren? Oder siehst du manchmal eine Art Zwangsoriginalität in den Positionen, bei der man sich nicht erlauben darf zu sagen, ja, es ist vielleicht nicht das optimale Instrument, aber ich bin trotzdem dafür?

Sie ist das optimale Instrument! Unser Hashtag wird kein #Aufschrei und auch kein #metoo sein. Wir fordern ein Gesetz. Das ist sehr wichtig und entscheidend. Und es ist cool, ein Gesetz zu haben, denn das bedeutet, einen Rechtsanspruch zu haben. Quote, das ist vielleicht kein schöner Name, es ist aber ein Gesetz. Und dafür braucht man eine Mehrheit. Wir arbeiten sehr politisch. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann dieses Gesetz (durch)kommt. Und die Quote ist ein Beschleuniger für alles Mögliche. Wenn sie dann einmal durchgesetzt ist, dann fragt sich niemand mehr, warum jetzt mehr Frauen im Wettbewerb sind. Das ist dann einfach so.

Vielen Dank für das Gespräch!

(Das Gespräch führten Anna Hoffmann und Hanna Keller)

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